Die schönsten Augen machen die Franzosen. Aus Glas- und Emaille-Masse, aus Dukatengold oder Kupfer stellen sie hochwertige Glasaugen her. Um sich selbst von der Qualität zu überzeugen, reist der Thüringer Glasbläser Ludwig Müller-Uri in den 30er Jahren nach Paris. Dort aber muss er feststellen, dass er mit seinen künstlichen Augen den Franzosen mehr als das Wasser reichen kann.
Vom Puppen- zum Menschenauge
Geboren wird Müller-Uri am 4. September 1811 in Lauscha. Dort arbeiten zu jener Zeit zahlreiche Glasbläser für Butzenglas, Flaschen, Becher oder Kaffeegedecke; auch Glasaugen für Stofftiere und Puppen werden hergestellt. Darunter sind auch Müller-Uris Produkte. 1832 wird der Würzburger Mediziner Heinrich Adelmann auf einer Spielwarenmesse auf sie aufmerksam. Er gewinnt Müller-Uri dafür, seine Kenntnisse auf menschliche Glasaugen anzuwenden.
Noch im selben Jahr macht sich Müller-Uri mit großem Eifer an die Arbeit. 1835 werden seine ersten Augen einem Patienten eingesetzt. Probleme macht ihm noch die Gestaltung der Iris, die möglichst dem gesunden Auge gleichen soll. Mit "Schmelzfarben", die ins Glas eingebrannt werden müssen, versucht er, "die mannigfaltigsten Nuancen der Regenbogenhaut" zu imitieren. Später wird er dazu übergehen, die Iris mithilfe von "Zeichenstängeln" selbst aus farbigem Glas zu formen.
Keine Lösung für die Tränen
Als schwierig erweist sich auch die Haltbarkeit der Glasaugen, die durch die ständige Benetzung durch Tränenflüssigkeit matt werden. Zur Lösung des Problems reist Müller-Uri nach Paris, muss aber erkennen, dass die Franzosen auch keine Lösung haben. Die dortigen Glaskünstler versuchen sogar, den Mann aus Lauscha abzuwerben. Aber er kehrt lieber in seine Heimat zurück.
In Lauscha forscht Müller-Uri weiter an seiner Glasmischung. Mit dem Mineral Kryolith gelingt es ihm zumindest, eine Haltbarkeit von ein bis anderthalb Jahren zu erreichen. Mit diesen Glasaugen, die mit neun Mark sehr erschwinglich sind, wird er zwar nicht reich, aber berühmt. Alle Plagiatsvorwürfe aus Frankreich nützen nichts: Auf vier Weltausstellungen, darunter der 1876 in Philadelphia, werden sie prämiert.
Müller-Uri stirbt 1888 in Lauscha. Heute gibt es in Deutschland Schätzungen zufolge etwa 100 bis 150 Okularisten, die in seiner Nachfolge in Handarbeit Augenprothesen aus Glas herstellen. In allen anderen Ländern wird vor allem Kunststoff verwendet.
Stand: 04.09.2011
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