Am 11. Oktober 1986 schaut die Welt gespannt nach Island: In Reykjavik treffen sich an diesem Samstag der amerikanische Präsident Ronald Reagan und der Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Michail Gorbatschow. Die beiden Staatschefs haben sich im November zuvor in Genf zum ersten Mal getroffen und beschlossen, die Ende 1983 unterbrochenen Rüstungskontrollgespräche wieder aufzunehmen. Das ist dringend notwendig: Die Sowjets haben neue atomare Mittelstreckenraketen, die SS-20, aufgestellt und bedrohen damit Westeuropa. Die Nato reagiert mit Pershing-Raketen.
Beim Gipfeltreffen in Reykjavik, an dem Reagan und Gorbatschow mit ihren Außenministern George Shultz und Eduard Schewardnadse teilnehmen, geht es schlicht zu. Kein roter Teppich, kein Bankett, keine Staatshymnen. Der Verhandlungsraum befindet sich in einem einfachen, weißen Holzhaus am Rande der Hauptstadt.
Gorbatschow überrascht Reagan
"Als Reagan eintrat, öffnete Gorbatschow seinen Aktenkoffer und legte Papier um Papier auf den Tisch", erinnert sich einer der Dolmetscher. Es herrscht Misstrauen auf beiden Seiten. Reagan hat kurz zuvor die Sowjetunion als Reich des Bösen bezeichnet. Noch ist der Kalte Krieg nicht vorbei. Gorbatschow ergreift die Initiative: "Gleich zu Beginn schlug ich vor, dass die Arsenale aller strategischen nuklearen Raketen halbiert werden, damit wir mit der amerikanischen Seite eine Balance herstellen."
Reagan und Shultz sind überrascht. Gorbatschow stellt alles zur Disposition. Mit seinem Traum von einer "atomwaffenfreien Welt" entwickelt er eine Vision, der Reagan erst einmal nicht folgen kann. Trotz vier Verhandlungsrunden endet das Treffen einen Tag später ohne Ergebnis: kein Abkommen, nicht einmal eine Absichtserklärung.
Reagan hält an SDI fest
"Als wir dann am Abend neben dem Auto standen," erinnert sich Gorbatschow später, " sagte ich: 'Wir sind bereits einen großen Schritt vorwärtsgekommen. Gehen wir zurück an den Konferenztisch. Ich unterschreibe alles, wenn Sie einverstanden sind, SDI zu begrenzen.' Er antwortete: 'Nein.' Na gut, dann auf Wiedersehen!" SDI, die weltraumgestützte Raketenabwehr ist Reagans Lieblingsidee: Von lasergestützten Satelliten aus sollen auf die USA zufliegende Raketen abgefangen werden. Aber nach Gorbatschows Meinung verstößt SDI gegen einen bereits 1972 abgeschlossenen Vertrag über die Raketenabwehr.
Vor seinem Abflug am Sonntagabend greift Gorbatschow zu einer List. Er kann sich ein Scheitern nicht leisten, denn er muss die marode Sowjetunion von den ernormen Rüstungsausgaben befreien. Auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz erklärt Gorbatschow, Reykjavik sei erfolgreich gewesen. Zurück in Washington bleibt Reagan nichts anderes übrig, als das Treffen ebenfalls als Durchbruch darzustellen: "Es waren gute Gespräche. Wir sind bereit, dort weiterzumachen, wo wir aufgehört haben." Tatsächlich unterschreiben Reagan und Gorbatschow im Dezember 1987 den sogenannten INF-Vertrag - das wohl in der Geschichte bis dahin bedeutendste Abrüstungsabkommen. Damit verschwinden die atomaren Mittelstreckenraketen aus Europa.
Stand: 11.10.2011
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