20 Jahre lang feiert Napoleon einen Sieg nach dem anderen: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist der selbst ernannte Kaiser von Frankreich der mächtigste Herrscher Europas. Seit 1802 herrscht in Europa ein Frieden von seinen Gnaden, dem sich allein England widersetzt. Napoleon versucht, den Erzfeind mit einer Handelsblockade in die Knie zu zwingen. Diese Politik wird allerdings von Russland durchkreuzt, das seine Häfen für englische Schiffe öffnet. Das will sich Napoleon nicht bieten lassen, denn er ist seit 1807 mit Zar Alexander verbündet.
"Der Plan Napoleons war es, durch eine entscheidende Schlacht, nach Möglichkeit im Westen Russlands, den Zaren zu schlagen und dann wieder in das Bündnis zurückzuführen", sagt der Ulmer Historiker Thomas Schuler. Im Frühsommer 1812 sieht Napoleon die Zeit gekommen: "Nie war ein Sieg gegen die Russen so sicher." In spätestens zwei Monaten werde Alexander um Frieden bitten. Binnen Monaten stellt Napoleon eine riesige Streitmacht zusammen. Truppen aus 16 Ländern marschieren auf: Franzosen, Italiener, Schweizer, Spanier, Polen, Soldaten vom Balkan und über 100.000 Deutsche aus den Fürstentümern des Rheinbundes. An der Spitze seiner 600.000 Mann starken Grande Armée überschreitet Napoleon am 24. Juni 1812 den polnisch-russischen Grenzfluss, die Memel. Der Krieg beginnt.
Gefechte, Hunger, Typhus
Da die russische Armee einer offenen Feldschlacht ausweicht, stoßen die Franzosen immer weiter nach Osten vor - mit fatalen Folgen. Innerhalb weniger Wochen verliert Napoleon fast die Hälfte seiner Soldaten - durch Gefechte, Hunger und Typhus. Bei Borodino, kurz vor Moskau, kommt es zu eine der blutigsten Schlachten der Weltgeschichte. In wenigen Stunden fallen auf beiden Seiten zusammen mehr als 60.000 Mann. Das Gemetzel bleibt ohne Sieger, denn die Russen ziehen sich ungeschlagen zurück, um Napoleons Vorstoß ins Leere laufen zu lassen. Nachdem Napoleon Mitte September 1812 Russlands alte Hauptstadt ohne Gegenwehr eingenommen hat, folgt die nächste böse Überraschung. In der ersten Nacht, die der Kaiser im Kreml verbringt, geht die Stadt in Flammen auf - in Brand gesteckt von freigelassenen Häftlingen auf Befehl des russischen Stadtkommandanten.
Napoleons Hoffnung, der Zar werde nach dem Fall Moskaus verhandeln, erweist sich als Illusion. Frustriert gibt er am 19. Oktober 1812 den Befehl zum Rückzug. Ohne Winterausrüstung und Proviant ziehen die Franzosen tausende Kilometer durch die eisige Steppe in Richtung Westen. Doch in den Nächten mit minus 37 Grad Celsius haben die meisten keine Chancen. Zudem werden sie immer wieder von Kosaken attackiert. Kriegsteilnehmer berichten von grauenhaften Szenen: Hungernde Soldaten fallen über Pferde her und weiden sie bei lebendigem Leib aus.
Massaker an der Beresina
Zehntausende kommen beim Rückzug ums Leben. Dramatischer Höhepunkt ist die Überquerung der Beresina. "Französische Pioniere stehen im Eiswasser dieses kleinen russischen Flusses und bauen zwei Brücken", sagt Historiker Schuler, nach dessen Angaben von den rund 400 Pionieren wohl nur zwei überleben. Während sich die französischen Truppen und ein Tross Verwundeter und Zivilisten auf die Brücken zubewegen, eröffnet die russische Artillerie das Feuer. Mehr als 10.000 Menschen sterben.
Anfang Dezember 1812 flieht Napoleon mit einer Handvoll Getreuen nach Paris. Den Rest seiner Armee überlässt der Kaiser dem Schicksal. "Die Gesundheit Ihrer Majestät ist nie besser gewesen!", heißt es in Napoleons letztem Bulletin aus dem Russland-Feldzug. Doch sein Nimbus der Unbesiegbarkeit ist zerstört, drei Jahre später verliert er die Herrschaft in Europa. Seine Invasion in Russland haben von den ursprünglich 600.000 Soldaten nur 5.000 überlebt.
Stand: 24.06.2012
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