Stichtag

29. Juli 1967 - Grundstein für das erste tibetische Kloster Europas gelegt

Im Oktober 1950 marschiert Chinas "Volksbefreiungsarmee" in Tibet ein - angeblich zum Wohl der dortigen Bevölkerung, die seit Jahrhunderten von der eigenen politischen und religiösen Führung unterdrückt worden sei. Die Tibeter hingegen beharren auf ihrer Unabhängigkeit, die der 13. Dalai Lama 1912 erklärt hatte. Im März 1959 kommt es zur Revolte gegen die chinesische Besatzungsmacht. Nach der blutigen Niederschlagung des Aufstands fliehen rund 80.000 Tibeter über den Himalaya nach Nepal oder Indien. Unter ihnen ist auch der junge 14. Dalai Lama, der in Nordindien politisches Asyl erhält.

Angesichts des Flüchtlingsdramas nimmt die Schweiz 1961 als erstes europäisches Land Tibeter auf. Die "Weltwoche" schreibt damals, die Schweizer müssten sich solidarisch zeigen als "eines vom Glück begünstigten kleinen Bergvolkes gegenüber einem von einer tragischen Katastrophe betroffenen kleinen Bergvolkes." Rund 1.000 tibetische Flüchtlinge kommen in die Alpenrepublik. Zwei Dutzend von ihnen werden in dem kleinen Dorf Rikon im Tösstal in der Nähe von Winterthur untergebracht. Hier betreiben Henri und Jacques Kuhn eine Kochgeschirr-Fabrik. In Zeiten des Wirtschaftsbooms sind die Tibeter willkommene Arbeitskräfte.

Spannungen unter den Exil-Tibetern

Die Gebrüder Kuhn lassen in Rikon für die tibetischen Familien Werkswohnungen bauen. Doch bald gibt es Spannungen: Die tibetischen Jugendlichen passen sich dem westlichen Lebensstil an, ihre Eltern und Großeltern hingegen halten an der Tradition der Heimat fest. Um die Lage zu besprechen, reist deshalb Henri Kuhn Mitte der 1960er Jahre gemeinsam mit seiner Frau ins indische Dharamsala, wo die tibetische Exilregierung inzwischen ihren Sitz hat und auch das geistige Oberhaupt der Tibeter, der 14. Dalai Lama, residiert.

Bei einem Treffen habe der Dalai Lama darauf hingewiesen, "was für eine Bedeutung die Klöster" für die Tibeter hätten, berichtet Henri Kuhn später seinem Bruder. In Tibet seien die - im Exil nun fehlenden - Mönche in allen möglichen Lebenslagen zurate gezogen worden. Ein Kloster in der Schweiz könne vermutlich Abhilfe für die Probleme schaffen. Die Kuhns sind von der Idee so überzeugt, dass sie eine Stiftung gründen, der sie mehrere hunderttausend Schweizer Franken zur Verfügung stellen. Der Dalai Lama schickt vier Mönchsgelehrte und einen Abt nach Rikon im Kanton Zürich. Am Anfang lebt die Mönchsgemeinschaft in einem Bauernhaus der Familie Kuhn.

Unter der Schirmherrschaft des Dalai Lamas

Baubeginn für das erste tibetisch-buddhistische Kloster Europas ist die Grundsteinlegung am 29. Juli 1967. Im November des darauf folgenden Jahres wird das Kloster gesegnet und mit buddhistischen Ritualen eingeweiht. Der funktionale, vierstöckige, weiße Bau steht in Hanglage am Waldrand. Offiziell lautet der Name "Klösterliches Tibet-Institut Rikon". Denn nach der schweizerischen Bundesverfassung ist damals die Neugründung von Klöstern noch verboten.

Der Dalai Lama, unter dessen Schirmherrschaft das Kloster steht, ist zum ersten Mal 1973 zu Besuch. Für ihn ist stets ein eigener Schlaf- und Meditationsraum reserviert. Heute leben im Kloster sechs Mönche und ein Abt. Sie vertreten alle vier großen Schulen des tibetischen Lamaismus und versuchen der nachwachsenden Generation Tibets Kultur, Sprache und Religion nahe zu bringen. Das buddhistische Kloster ist seit seiner Gründung zum spirituellen Zentrum der Exiltibeter in Westeuropa geworden. In der Schweiz leben heute rund 4.000 Exil-Tibeter. Es ist ihre größte Diaspora im Westen.

Stand: 29.07.2012

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