Völlig bekleidet legt sich Ludwig XVI. am Abend des 9. August 1792 im Tuilerien-Schloss zu Bett. Noch ist es ruhig in Paris, doch seit Wochen gleicht die Stadt einem Pulverfass, dessen Lunte bereits brennt. Drei Monate nach Beginn der Revolution am 14. Juli 1789 war die königliche Familie gezwungen worden, von Versailles nach Paris umzuziehen. Seit ihrer vereitelten Flucht im Juni 1791 leben Ludwig XVI. und Königin Marie Antoinette de facto als Gefangene in den Tuilerien. Der nächste Tag, der als "le 10 août" in Frankreichs Geschichte eingeht, wird ihr Schicksal besiegeln.
Zwar hat der König bereits auf seine absolutistische Macht verzichtet und der neuen Verfassung mit einer konstitutionellen Monarchie zugestimmt. Doch ständig kursieren neue Gerüchte über eine Kollaboration Ludwigs mit in- und ausländischen Royalisten und vor allem mit Österreich, dem Frankreich im April 1782 den Krieg erklärt. Immer lauter fordern radikale Kräfte die totale Abschaffung der Monarchie. Im Juni 1792 dringen Aufständische sogar bis in die Tuilerien vor und nötigen Ludwig mit Drohungen zu Demutsgesten gegenüber der Revolution.
Ultimatum zur Absetzung des Königs
Aus Sorge vor einem Übergreifen der Revolution verbündet sich Preußen mit Österreich. Der Oberbefehlshaber der Koalitionsarmee droht den Parisern bei "der geringsten Beleidigung" der Königsfamilie mit "exemplarischer und unvergesslicher Rache durch eine militärische Strafvollstreckung und einem vollständigen Umsturz". Als die Drohung am 1. August in Paris bekannt wird, kocht der Volkszorn über. Die aufständischen Sektionen beginnen mit der Volksbewaffnung und fordern die Nationalversammlung auf, bis zum 9. August die Absetzung Ludwig XVI. zu beschließen. Das Ultimatum läuft jedoch ohne Entscheidung ab, der Aufstand ist nicht mehr aufzuhalten.
Gegen Mitternacht läuten die Sturmglocken. In den Tuilerien stehen rund 2.000 Nationalgardisten und 1.000 Mann der Schweizer Garde zur Verteidigung bereit. Die Loyalität der Nationalgarde gilt aber als unsicher, nur auf die Schweizer kann sich der König unbedingt verlassen. Um fünf Uhr entheben Abgesandte der Pariser Sektionen die Stadtregierung ihres Amtes und übernehmen als "aufständische Kommune" die Macht. Aus den Vorstädten rücken weit über 50.000 bewaffnete Menschen in zwei Marschkolonnen auf die Tuilerien vor. Als erste treffen die durch Freiwilligen-Bataillone aus Marseille verstärkten Aufständischen ein. Beim ersten Feuergefecht flieht Ludwig in den Schutz der nahe gelegenen Nationalversammlung.
Der Weg in die Terrorherrschaft
"Wenn der König sich zu Pferde gezeigt hätte, wäre der Sieg sein gewesen“, kritisiert später Napoleon Bonaparte, der den Tuilerien-Sturm als junger Mann miterlebt. Stattdessen befiehlt Ludwig XVI. der Schweizer Garde den Rückzug, doch die Order dringt nur teilweise durch. Während viele Nationalgardisten die Fronten wechseln, entwickelt sich im Schloss ein hin und her wogendes, unübersichtliches Gemetzel. Gefangene oder sich ergebende Schweizer werden brutal ermordet. "Ich habe an diesem Tag gesehen, was Barbaren sind", erinnert sich Napoleon. Als dann die zweite Marschkolonne an den Tuilerien eintrifft, entscheidet sich der Sturm endgültig zugunsten der Angreifer.
Nur rund 200 Schweizer Gardisten entgehen dem blutrünstigen Rachedurst der Pariser Bevölkerung. Auf Seiten der Aufständischen werden 376 Tote und Verwundete gezählt. Die "Zweite Revolution", wie der Historiker Albert Soboul den "10 août" genannt hat, markiert nicht nur den Sturz des Königs. Die gemäßigten Kräfte verlieren endgültig an Einfluss, während die radikalen Revolutionäre um Danton und Robespierre, die Planer des Tuilerien-Sturms, den Weg in den "terreur" vorbereiten – jene Terrorherrschaft, die zuerst Ludwig XVI. und am Ende sie selbst den Kopf kosten wird.
Stand: 10.08.2012
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