Die erfolgreichste Kindersendung der Welt verdankt ihre Entstehung einem TV-Testbild. Mitte der 60er Jahre bemerkt Lloyd Morrisett, wie seine dreijährige Tochter fasziniert auf die Fernsehgrafik starrt. Das bringt den amerikanischen Psychologen auf die Idee, Vorschulkinder via Mattscheibe zum Lernen zu animieren. Der nicht kommerzielle "Children’s Television Workshop" greift Morrisetts Anregung auf und konzipiert mit dem Puppenspieler und Muppets-Erfinder Jim Henson einen kindgerechten Mikrokosmos, in dem sich jede Menge schräge Typen tummeln.
"Sesame Street" wendet sich vor allem an Kinder aus sozial schwachen Schichten. Ernie und Bert, Oscar, das Krümelmonster und der Vogel Bibo treiben ihre Späße mit Zahlen und Buchstaben daher nicht in bürgerlich-gepflegter Umgebung, sondern mitten in einer schmuddeligen New Yorker Multikulti-Straße. Bereits wenige Monate nach dem Start im November 1969 ist "Sesame Street" Amerikas beliebteste Kindersendung. In der Bundesrepublik wird sie mit dem renommierten "Prix Jeunesse International" ausgezeichnet.
"Höllisch hämmernde Alphabete"
NDR und WDR übernehmen die ersten Folgen im Original und senden sie ab April 1971 mit Erfolg im Dritten Programm. Vom Bund mit drei Millionen Mark gefördert, entwickeln Pädagogen unter Federführung des NDR eine deutsche Adaption der "Sesamstraße". Doch ausgerechnet der Veranstalter des "Prix Jeunesse", der Bayerische Rundfunk (BR), macht innerhalb der ARD Front gegen das "Ghetto-Programm" aus den USA. BR-Fernsehdirektor Helmut Oeller warnt, deutsche Kinder könnten sich mit den "in der Sendung auftretenden Negern" nicht identifizieren.
Bayerns Lehrerverband verurteilt die "Sesamstraße" mit ihren anarchischen Puppen-Charakteren und der von Reklamespots geprägten Dramaturgie gar als "Werbe-, Drill- und Überredungsprogramm". Selbst "Der Spiegel" spottet: "Da hämmern höllisch die Alphabete, da zucken flipperhaft Ziffern in reißendem Rhythmus, und auf flinken Alliterations-Jux…folgt – höchst gewagt – die Geschichte des 'O' und 'das Lied von der Sechs'." Allen Bedenken zum Trotz erobert die "Sesamstraße" aber auch hierzulande die Herzen der Kinder im Sturm - wenn auch zunächst nur nördlich des Weißwurst-Äquators.
Neue Folgen seit 2012 im KiKa
Am 8. Januar 1973 erlebt die Rasselbande aus der eingedeutschten "Sesamstraße" ihre Premiere in der ARD. Ernie und Bert sprechen nun mit den Stimmen von Gerd Duwner und Wolfgang Kieling. 250 Folgen lang wird das Straßenbild des Originals übernommen und nur durch einige deutsche Beiträge angereichert. 1976 beginnt der NDR, die New Yorker Slum-Szenerie allmählich durch eine rein deutsche Rahmenhandlung und die US-Puppen durch eigene Kreationen zu ersetzen. Jetzt treiben der Zottelriese Samson, die altkluge Tiffy und Griesgram Rumpel ihre Späße mit menschlichen Kollegen wie Henning Venske, Lilo Pulver oder Manfred Krug.
Auch das amerikanische Titellied weicht einer deutschen Version. Seither trällern kleine und große Sesamstraßen-Fans: "Der, die, das / wer, wie, was / weshalb, wieso, warum. Wer nicht fragt, bleibt dumm." Im Laufe von rund 2.000 Folgen wird das Konzept ständig dem Zeitgeist angepasst; das Jonglieren mit Buchstaben und Zahlen macht zunehmend Platz für soziale Themen. So lernen die kleinen Zuschauer nun etwa, wie man richtig miteinander umgeht oder wie man seine Ängste überwinden kann. 2012 startet nach vier Jahren Produktionspause eine neue "Sesamstraße"-Staffel, die seither wie der Serien-Ableger "Eine Möhre für zwei" mit anhaltendem Erfolg im KiKa zu sehen ist.
Stand: 08.01.2013
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