Stichtag

26. März 1923 - Gert Bastian wird geboren

Bonn, 19. Oktober 1992: Im Stadtteil Tannenbusch werden die beiden Grünen-Politiker Petra Kelly und Gert Bastian tot aufgefunden. Die Leichen des Paares haben zwei oder drei Wochen in der gemeinsamen Wohnung gelegen, ohne dass sie jemand vermisst hat. Die Polizei stellt fest, dass zwei tödliche Schüsse abgegeben wurden - offenbar vom Friedensaktivisten und Ex-Bundeswehr-General Bastian. Die erste Kugel soll er - vermutlich bereits am 1. Oktober - der schlafenden Kelly in den Kopf geschossen haben. Mit der zweiten hat Bastian sich wohl kurz darauf selbst getötet. So steht es später im Polizeibericht. Ein Abschiedsbrief, der Hinweis auf Motive geben könnte, wird nicht gefunden. In der Schreibmaschine steckt ein Brief an Bastians Anwalt, in dem es um eine ganz andere Angelegenheit geht - mitten im Wort unterbrochen.

Nicht nur Bastians angebliche Tat bleibt rätselhaft, auch seine Lebensgeschichte wirft Fragen auf. Sie ist durch Risse und Brüche gekennzeichnet. Geboren wird Gert Bastian am 26. März 1923 in München als Sohn eines deutsch-brasilianischen Volkswirtes. National gesinnt erzogen meldet er sich im Zweiten Weltkrieg freiwillig zum Einsatz und kämpft an der Ostfront - zum Schluss als Zug- und Kompanieführer eines Panzerpionier-Bataillons. Nach kurzer Kriegsgefangenschaft absolviert er eine Buchbinderlehre und tritt 1956 als Oberleutnant in die Bundeswehr ein. Bereits zwei Jahre zuvor ist er Mitglied der CSU geworden, die er aber 1963 aus Protest gegen den politischen Stil von Franz Josef Strauß verlässt. Bastians Militärkarriere erreicht 1976 ihren Höhepunkt, als er als Generalmajor Kommandeur der zwölften Panzerdivision wird.

Ärger mit den Grünen

Im Januar 1980 wechselt Bastian mit 57 Jahren die Fronten: Er bittet um die Versetzung in den einstweiligen Ruhestand, weil er den NATO-Nachrüstungsbeschluss nicht mittragen könne. Der Westen will neue atomare Mittelstreckenraketen in Europa stationieren, weil der Osten zuvor solche Raketen in Stellung gebracht hat. Für Bastian besteht allerdings keine Bedrohung: Die Sowjetunion rüste nicht für den Dritten Weltkrieg, sondern für eine neue Möglichkeit der Verteidigung - nach den Erfahrungen des deutschen Russlandfeldzugs.

Vom Zweisterne-General zum Kriegsdienstverweigerer - Bastian wird zum Star der Friedensbewegung und fasziniert die 24 Jahre jüngere Petra Kelly, die Mitbegründerin der Grünen ist. Die beiden lernen sich Ende 1980 kennen, ab da ist er stets an ihrer Seite - obwohl er verheiratet ist und zwei Kinder hat. Drei Jahre später ziehen Kelly und Bastian als grüne Abgeordnete in den Bundestag ein. Doch bald kommt es zu Konflikten mit der Partei. Zum Beispiel wegen des damaligen Rotationsprinzips: Nach zwei Jahren im Bundestag sollen die Abgeordneten durch "Nachrücker" ersetzt werden, um Machtstrukturen zu verhindern. Bastian kritisiert dies als "überzogene Basisdemokratie, die zu einer Diktatur der Basis" führe. In Schwierigkeiten innerhalb der Fraktion gerät Bastian auch, als er die Entwicklung eines Panzerhubschraubers befürwortet.

"Eine ganz symbiotische Freundschaft"

Noch mehr Ärger gibt es, als Bastian zusammen mit Kelly aus dem sogenannten Krefelder Appell aussteigt, der angeblich kommunistisch unterwandert ist. Diesen Aufruf gegen das weltweite Wettrüsten, den mehr als vier Millionen Menschen in Westdeutschland unterzeichnet haben, hatte er 1980 selbst mitinitiiert. Gleichzeitig bleibt Bastian Mitglied bei den "Generalen für den Frieden" - eine europäische Friedensvereinigung, die von der Staatssicherheit der DDR unterstützt und mitfinanziert wird.

Für Kelly scheint das keine Rolle zu spielen. Die Beziehung zu ihrem "Gertilein" wird immer enger: "Gert Bastian und seine Solidarität, das ist etwas, ohne das ich gar nicht mehr hätte existieren können, das ist eine ganz symbiotische Freundschaft." Überall treten sie gemeinsam auf. Kelly reißt Bastian mit im Kampf gegen Elend, Unterdrückung und Umweltverschmutzung. Er zieht in ihre Bonner Wohnung und wird für sie Stütze und Lebensorganisator - obwohl er seinen Lebensabend eigentlich mit seiner Ehefrau in München verbringen will. Kelly arbeitet jeweils bis zum frühen Morgen am Schreibtisch und hinterlässt Bastian kleine Zettel mit Aufträgen, die er erledigen soll. Aus der Liebe wird offenbar immer mehr Abhängigkeit. Gleichzeitig isoliert sich das Paar. In ihrer Partei spielen die beiden kaum mehr eine Rolle. In der Öffentlichkeit wird immer weniger über sie geredet - bis ihre Leichen gefunden werden.

Stand: 26.03.2013

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