Turnen gehört zur Erziehung. Von diesem Grundsatz ist Adolf Spieß überzeugt. Beeinflusst wird er dabei vom Pädagogen Johann Christoph Friedrich Gutsmuths und dessen Buch "Gymnastik für die Jugend" (1793), aber auch durch Friedrich Ludwig Jahn, der 1811 in der Berliner Hasenheide den ersten deutschen Turnplatz unter freiem Himmel eröffnet hat.
Aber anders als seine Vorbilder will Spieß das Turnen systematisieren. Und er will vor allem, dass es zum festen Bestandteil des Stundenplans wird. Der Schüler soll durch den Sport seinen Körper beherrschen lernen. Das aber geht für Spieß nur im geordneten Umfeld des von Lehrern kontrollierten Schulunterrichts. "Wo immer aber das Turnen betrieben wird", notiert Spieß dementsprechend, "soll es mit Ernst und Strenge als ein Unterricht gehandhabt werden, der vor allem auch zum Gehorsam bildet, zum willigen Dienst gefügig macht, denn die Freiheit ist ein Dienst".
Unterricht im Kasernenton
Geboren wird Spieß 1810 als Spross einer Lehrerfamilie im hessischen Lauterbach. Bereits während seines Theologiestudiums in Gießen, Halle und Berlin turnt und fechtet er mit großer Leidenschaft. Aber in Deutschland ist das Turnen offiziell verboten. Deshalb geht Spieß in die Schweiz, um als Turnlehrer zu unterrichten. Hier kommt er mit den Ideen Johann Heinrich Pestalozzis in Kontakt, der Leibesübungen in sein ganzheitliches Konzept einer Harmonie von Körper und Geist integriert.
1848 kehrt Spieß nach Deutschland zurück und organisiert im Auftrag des preußischen Kultusministers Johann Albrecht Friedrich von Eichhorn in Hessen das Schulturnen. Im Unterschied zu "Turnvater" Jahn setzt er dabei auf ein Unterrichtskonzept innerhalb des Stundenplans – und nicht auf Jugendführer, sondern auf ausgebildete Turnlehrer. Diese sollen alles wilde Toben vermieden werden. Unterrichtet wird im Kasernenton.
Mädchen müssen anders turnen
In seinem sportdidaktischen Konzept entwickelt Spieß Übungen am Gerät ebenso wie Bein-, Rumpf-, Arm-, Dehn- oder Hüpfübungen, deren Ablauf er minutiös beschreibt. Da auch Mädchen am Turnunterricht teilnehmen sollen, erfindet er für Schülerinnen spezifische Reigentänze: Während Jungen kontrolliert kämpfen lernen sollen, liegt der Sinn der Leibesertüchtigung beim weiblichen Geschlecht für Spieß im Erlernen fließender, geschmeidiger Bewegungen.
Ab 1855 muss Spieß als Lehrer kürzertreten. Eine Lungenverletzung, die er sich als Student beim Fechten zugezogen hat, macht ihm erneut zu schaffen. Am 9. Mai 1858 stirbt er in einem Schweizer Sanatorium an Tuberkulose. Sein größtes Verdienst aber, den Turnunterricht zum regulären Schulfach gemacht zu haben, hat bis heute Bestand.
Stand: 09.05.2013
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