Stichtag

27. Februar 1939 - Todestag von Nadeschda Krupskaja

Im April 1917 rattern zwei seltsame Eisenbahnwaggons durch Deutschland. Die Türen sind versiegelt, keiner steigt ein oder aus, die Grenzkontrolleure müssen den Zug unbesehen passieren lassen. Drinnen sitzen dreißig russische Revolutionäre, darunter Wladimir Iljitsch Lenin und seine Ehefrau Nadeschda K. Krupskaja. Der Zug ist eine Geheimaktion des Deutschen Reichs. "Das Militär war natürlich daran interessiert, die Revolutionäre so schnell wie möglich nach Russland zu bringen", sagt der Historiker Manfred Hildermeier, Professor für osteuropäische Geschichte an der Universität Göttingen.

Lenin und Krupskaja treten für ein Ende des Krieges ein

Beide Länder befinden sich zwar im Krieg. "Doch das Deutsche Reich braucht unbedingt Entlastung im Osten", sagt Hildermeier. Und die Revolutionäre um Lenin und Krupskaja treten für ein Ende des Krieges ein. Der deutsche Plan wird aufgehen. Lenin kommt an die Macht –  und schließt Frieden. Aber auch er erreicht, was er will: den ersten sozialistischen Staat der Welt.

Gleichzeitig spielt sich im Inneren des Zugs ein Drama ganz anderer Art ab. Denn nicht nur Lenins Frau fährt mit – sondern auch seine Geliebte, Inessa Armand, eine überzeugte Revolutionärin aus reichem französischen Hause. "Sie hat eine andere Welt verkörpert, eine sehr viel mondänere Welt", sagt Manfred Hildermeier.

Nadeschda Krupskaja legt wenig Wert auf Äußerlichkeiten. "Mit ihrem glatt zurückgekämmten Haar, in ihrem schmucklosen Kleid konnte man Nadeschda Krupskaja für eine abgehetzte Arbeiterfrau halten", schreibt die deutsche Sozialistin Clara Zetkin. Inessa Armand dagegen verkörpert die Revolution mit Stil, trägt aparte Kleidung und ausladende Hüte. Als sie im Zug sitzen, erträgt Nadeschda Krupskaja die Dreiecksbeziehung seit sieben Jahren. Scheiden lassen will sich ihr Mann auf keinen Fall.

"Lenin wusste sehr genau, was er an ihr hatte, auch als Mitarbeiterin. Liebe, Zusammenleben, Arbeit für die Revolution –  das ließ sich nicht voneinander trennen", sagt Hildermeier.  

Bei Krupskaja laufen alle Fäden der Untergrundarbeit zusammen

In Lenins illegaler Organisation der Bolschewiki gilt Krupskaja bald als Mutter der Partei. Bei ihr laufen alle Fäden der Untergrundarbeit zusammen: Sie verschickt die Parteizeitung in Koffern mit doppeltem Boden, chiffriert Adresslisten, führt mit Geheimtinte die Korrespondenz. "Kruspkaja ist letztlich seine Sekretärin gewesen, hat Lenin einen großen Teil der Arbeit abgenommen", sagt Manfred Hildermeier.

Mehr als ein Dutzend Mal muss das Paar in Europa umziehen – immer auf der Flucht vor der russischen Geheimpolizei. Lenins Geliebte befindet sich meistens im Schlepptau. Armands Tod drei Jahre nach der Oktoberrevolution verwindet Lenin nie. 1922 erleidet er einen schweren Schlaganfall, Nadeschda Krupskaja weicht bis zuletzt nicht von seiner Seite.

Er diktiert ihr sein politisches Testament: Stalin, der sich bereits für Lenins Nachfolge in Stellung bringt, soll verhindert werden. Doch Nadeschda Krupskaja beschließt zu schweigen, obwohl sie hätte Stalins Schreckensherrschaft vermutlich verhindern können. Sie stirbt am 27. Februar 1939. Stalin diente sie bis zuletzt als stellvertretende Volksbildungskommissarin. Begraben ist sie an der Kremlmauer, unweit von Inessa Armand, im Schatten des Lenin-Mausoleums.

Stand: 27.02.2014

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