Stichtag

9. April 1924 - Dawes-Plan vorgelegt

Deutschland trifft die alleinige Schuld am Ersten Weltkrieg - das stellen die alliierten Sieger 1919 im Friedensvertrag von Versailles fest. Deshalb fordern sie sogenannte Reparationen, die das Deutsche Reich zur Wiedergutmachung der Kriegsschäden zu zahlen hat. Die Deutschen sind die einzigen Verlierer, bei denen noch etwas zu holen ist: "Die wichtigsten Verbündeten Deutschlands, also das Reich Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich, waren zerfallen", sagt Geschichtsprofesssor Hans-Christof Kraus von der Universität Passau. Bei den Forderungen hätte nicht nur der finanzielle Ausgleich für die Zerstörungen eine Rolle gespielt: "Es ging natürlich auch darum, Deutschland dauerhaft politisch zu schwächen."

Anfang 1921 bringen Amerikaner, Briten und Franzosen die Summe von 226 Milliarden Goldmark ins Spiel. In Deutschland herrscht Entsetzen: Das sei mehr als das gesamte Volksvermögen, klagen Kritiker. Insbesondere weil die Weimarer Republik große Industriezentren und somit Einnahmequellen verloren hat: "Vor allen Dingen das Saargebiet, das für viele Jahre von Frankreich verwaltet wurde, und Oberschlesien, das nach einigen Konflikten nach Polen kam", so Historiker Kraus. Reichskanzler Joseph Wirth geht damals davon aus, dass "der weitaus überwiegende Teil aller Bodenschätze, vier Fünftel der Verarbeitungsstätten" Deutschland fehlten.

132 Milliarden Goldmark gefordert

In etlichen Konferenzen wird um die Höhe der Reparationen gerungen. Deutscher Widerspruch wird mit der Drohung erstickt, das Ruhrgebiet zu besetzen. Besonders Frankreich bleibt hart. Denn "große Landstriche in Nord-Ost-Frankreich, das ja Hauptkriegsgebiet gewesen war, waren verwüstet worden", sagt Experte Kraus. "Frankreich hatte hohe Bevölkerungsverluste gehabt."

Im Mai 1921 zwingen die Sieger den Deutschen schließlich die Summe von 132 Milliarden Goldmark auf. Berlin stimmt zu, der Reichskanzler verkündet die sogenannte "Erfüllungspolitik". Den Alliierten, so Historiker Kraus, sollte damit gezeigt werden: "Sehr her, wir tun ja alles, was wir können, aber wir sind schon am Rande unserer Leistungsfähigkeit." Deutsche Politiker verlangen von den Siegern deshalb: "Erst Brot, dann Reparationen!" Dafür werden sie von Vertretern der extremen Rechten als Volksverräter beschimpft.

Deutsche Leistungsfähigkeit überprüft

Als die deutschen Zahlungen wieder einmal stocken, besetzen Franzosen und Belgier Anfang 1923 das Ruhrgebiet. Die Reichsregierung finanziert den "passiven Widerstand" gegen die Besatzer mit Geld - das sie gar nicht hat. Bald laufen fast 18.000 Druckmaschinen rund um die Uhr. Es ist zwar immer mehr Geld im Umlauf, aber es ist immer weniger wert, da nicht mehr Produkte auf dem Markt sind. Es kommt es zu einer Hyper-Inflation. Plötzlich kostet ein Laib Brot mehrere tausend Mark.

Der neue Reichskanzler Gustav Stresemann vollzieht die Wende: Er ordnet die Aufgabe des passiven Widerstands gegen die Ruhrbesetzung an, reformiert die Währung und sucht das Gespräch mit den Westmächten. Daraufhin überprüfen ausländische Experten, was Deutschland an Zahlungen überhaupt leisten kann. Am 9. April 1924 legt das Team um den US-Bankier Charles Dawes seine Empfehlungen vor. Im August 1924 wird der sogenannte Dawes-Plan verabschiedet. Darin wird dem Deutschen Reich eine Erholungspause zugestanden. Erst im fünften Jahr sollen die "normalen" Zahlungen von 2.500 Millionen Goldmark beginnen. Zudem bekommt Deutschland als Starthilfe eine internationale Anleihe von 800 Millionen Goldmark. Die Alliierten erhalten ein Mitspracherecht bei Reichsbank und Reichsbahn, verpflichten sich aber auch zu Gegenleistungen. Frankreich muss die im Ruhrgebiet beschlagnahmten Betriebe zurückgeben.

Anleihe erst 2010 zurückbezahlt

Für seine Bemühungen um eine friedliche europäische Nachkriegsordnung erhält Dawes den Friedensnobelpreis. Am Anfang fließen die Reparationen wie vereinbart. Weil die Summen immer noch zu hoch sind, werden die Zahlungen 1928 deutlich herabgesetzt. In der Wirtschaftskrise wenig später verzichten die Alliierten ganz auf weitere Forderungen. Die Verpflichtung zur Tilgung der internationalen Anleihe hingegen bleibt bestehen. Als Adolf Hitler an die Macht kommt, werden die Zahlungen 1939 bei Kriegsbeginn eingestellt.

Durch die deutsche Teilung nach dem Zweiten Weltkrieg verschleppt sich die Rückzahlung der Anleihe weiter - bis zur Wiedervereinigung. Von 1990 bis 2010 trägt Deutschland die letzten Schulden ab.

Stand: 09.04.2014

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