Stichtag

23. Dezember 1789 - Todestag von Charles Michel de l'Epée

Eine überforderte Mutter bringt dem Pariser Privatlehrer Charles Michel de l'Epée 1760 ihre beiden tauben Töchter, damit er sie unterrichte. Dem Gelehrten und Geistlichen fällt sofort auf, dass sie ihre eigene Sprache haben, stumm und doch differenziert und ausdrucksstark – eine Zeichensprache. In diesem Moment erkennt er den Sinn der Gebärden und gründet darauf seine gesamte Pädagogik. Noch ein halbes Jahrhundert zuvor schrieb der Schweizer Pädagoge Johann Konrad Amman in der Dissertatio de Loquela: "Wie dumm sind gemeiniglich Taube und Stumme? … Wie wenig sind sie oftmals von den unvernünftigen Thieren unterschieden?" Die Kirche verweigert den Gehörlosen sogar jahrhundertelang die Sakramente, weil sie angeblich das Evangelium nicht verstehen. Charles Michel de l'Epée schafft als einer der ersten eine systematische Pädagogik für Hörgeschädigte.

De l'Epée gründet erste Schule für Gehörlose

"Kann man den Gehörlosen nicht einfach überall hinführen, wohin man möchte, indem man seine Sprache übernimmt und sie den Regeln einer sinnlich wahrnehmbaren Methode unterwirft?", schreibt er. Aus den "natürlichen Gestenzeichen", die er bei den Schwestern beobachtet, - ergänzt durch zusätzliche grammatische Zeichen - erfindet er ein System methodischer Gebärden. De l'Epée will damit eben nicht nur Buchstaben und Laute vermitteln, sondern Wissen. "Er steht dafür, dass Bildung nicht nur über die gesprochene Sprache vermittelt wird, sondern auch über den nonverbalen Ausdruck", sagt die Gebärdendolmetscherin Magdalena Meisen, die unter anderem im Fernsehkanal Phoenix die Tagesschau übersetzt. Die Zeit ist reif für de l'Epées Idee: Sie passt zu den Idealen der Aufklärung im 18. Jahrhundert. Der Geistliche findet Mäzene und gründet 1771 die erste Schule für Gehörlose weltweit, die Institution Nationale des Sourds-Muets de Paris.

Elemente der Gebärdensprache sind von selbst entstanden

Nach dem Tod von Charles Michel de l'Epée am 23. Dezember 1789 wird die Schule verstaatlicht. Seine Methode wird fortan weit über Frankreich hinaus bekannt: Die Mehrheit der tauben Europäer und US-Amerikaner lernt bald danach. Inzwischen wurde seine Didaktik von vielen weiteren Gehörlosenpädagogen erweitert und verändert. Aber De l'Epées Grundidee hat bis heute überlebt: Mit Gebärden lässt sich alles sagen – auch das Abstrakte. Forscher gehen davon aus, dass viele Elemente der Gebärdensprache von selbst entstanden sind. "Es gibt keine Kultur, in der Menschen beim Sprechen nicht ihre Hände bewegen. Selbst Blindgeborene, die nie jemanden haben gestikulieren sehen, setzen beim Sprechen kontrolliert ihre Hände ein. Wo gesprochen wird, wird auch gestikuliert", sagt die US-amerikanische Psychologin Susan Goldin-Meadow.

140.000 Menschen sind in Deutschland fast, weitere 80.000 völlig taub. Rechtlich ist ihre Gebärdensprache in Deutschland seit 2002 der Lautsprache ebenbürtig.

Stand: 23.12.2014

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