"Wer bist du, Sylvia"? Das fragt sich Boulevardreporter und Frauenheld Marcello Rubini, als er in Federicio Fellinis Film "La Dolce Vita" ("Das süße Leben") inmitten der High Society von Rom auf eine bezaubernde Fremde trifft. Und er gibt sich in der für ihn typischen, überhöhenden Art selbst die Antwort: "Du bist alles, alles bist du, ja weißt du das überhaupt? Du bist die erste Frau des ersten Schöpfungstages. Du bist Mutter, Schwester, Geliebte, Freundin, Engel, der Teufel, die Erde, das Haus. Ah ja, da haben wir es. Du bist das Haus."
Ein Bad der vollbusigen Sylvia alias Anita Ekberg im Trevi-Brunnen und einen Kuss mit Rubini alias Marcello Mastroianni braucht Regisseur Fellini, um aus der schwedischen Schauspielerin und dem italienischen Filmstar das Kinopaar der 60er Jahre zu machen: zwei Minuten, die Filmgeschichte schreiben. Noch heute pilgern Cineasten wegen dieser Szene zu der 26 Meter hohen und rund 50 Meter breiten Sehenswürdigkeit.
Erfinder des Jetsets
Fellinis "La Dolce Vita" spielt in der oberflächlichen Welt der Reichen und Schönen Roms, deren Leben dahinplätschert wie das Wasser im Trevi-Brunnen. Und er ist stilprägend auf vielfache Art und Weise. Mit späteren Szenestars wie Adriano Celentano oder Nico von "Velvet Undergrond" erfindet der Film den Jetset, bevor es die Schickeria in der legendären Prachtstraße Via Veneto überhaupt gibt. Er kreiert einen sensationslüsternen Fotografentypus, der von den Bildern Prominenter lebt und dem er mit der Figur des Paparazzo zugleich auch noch den Namen gibt. Und er verleiht dem sinnlos süßen Leben der oberen Zehntausend schon im Titel die verheißungsvolle Bezeichnung.
Dabei geht Fellini durchaus kritisch um mit der hohlen Welt, die er beschreibt. "La Dolce Vita" ist nicht zuletzt ein Film, der anhand von Marcello Rubini aufzeigt, wie scheinheilig das vermeintlich süße Leben zwischen Straßenflirts und wilden Partys ist. Insgeheim sehnt sich Rubini nach etwas, das ihm inmitten der Flüchtigkeit des Augenblicks Halt und Sinn verspricht. Als sich ein enger Freund des Boulevardreporters das Leben nimmt, wird die Einsamkeit der Hauptfigur offenbar.
Botschaften aus Poesie
In einer Szene verkleidet sich Anita Ekberg mit einem langen schwarzen Mantel und einem schwarzen Hut mit breiter Krempe in eine heidnisch-katholische Priesterin. Auch wegen solcher Szenen ist der Film dem Klerus ein Dorn im Auge. "La Dolce Vita" verletze die "vatikanische Würde", lautet das Urteil zur Premiere 1960. Auch in Deutschland empören sich Katholiken. Im Spanien unter General Francisco Franco steht Fellinis Meisterwerk bis 1981 auf dem Index.
An den Kinokassen indes stehen die Menschen Schlange. "La Dolce Vita" avanciert zum Kultfilm. Am 20. Mai 1960 erhält Fellini für sein Werk, das in Zeiten des italienischen Neorealismus ganz ohne erhobenen Zeigefinger auskommt und seine Botschaft allein durch die Poesie der Bilder und der Sprache vermittelt, beim 13. Internationalen Filmfestival in Cannes die Goldene Palme.
Stand: 20.05.2015
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