Daniel David Palmer hat magische Hände. Davon ist der Wunderheiler überzeugt. Mit Hilfe magnetischer Energien, die sie durchströmen, heilt er "Krankheiten der Speiseröhre, der Leber, des Magens, der Niere, der Milz, sowie Nerven-, Muskel- und Herzleiden, und das zehn Mal schneller als mit Arzneimitteln." Zumindest, wenn man der Eigenwerbung des begnadeten Selbstdarstellers Glauben schenken darf.
Harvey Lillard glaubt an ihn. 17 Jahre lang hat der Hausmeister aus dem Block, in dem Palmers Praxis liegt, alles versucht, um wieder besser hören zu können. Am 18. September 1895 betritt er Palmers Praxis. Palmer experimentiert eine Weile an Lillard herum und tastet den Körper ab. Seine Untersuchung ergibt, dass sich ein Wirbel verschoben hat. "Ich renkte ihn wieder ein, indem ich den Dornfortsatz des Wirbels als Hebel verwendete," wird sich Palmer später erinnern. Lillards schlechtes Gehör wird besser. Es ist der Beginn der Chiropraktik.
Der Fluss der Intelligenz
Geboren wird Palmer 1845 im kanadischen Pickering in der Nähe von Toronto. Seine Eltern sind bettelarm, er selbst kann nur acht Jahre lang auf die Volksschule gehen. Danach versucht er sich als Imker, verkauft Goldfische, wandert durch die USA und kommt schließlich mit alternativen Heilmethoden in Kontakt. In den 1880er Jahren lässt er sich in Iowa nieder und gründet seine Praxis. Die Behandlung von Hillard ist sein Durchbruch, den er als epochalen Meilenstein in der Medizingeschichte zu vermarkten weiß.
1897 gründet Palmer seine chiropraktische Schule. Zur Jahrhundertwende hat er rund 15 Nachfolger in dieser Disziplin ausgebildet. Aber Palmer macht noch mehr: Er kreiert zu seiner neuen Behandlungsmethode einen obskuren Überbau. Die Wirbelsäule sei von körpereigener Intelligenz durchflossen, deren optimale Strömung durch verschobene Wirbel ausgebremst werde, schreibt er in seinem Buch "Wissenschaft, Kunst und Philosophie der Chiropractic". Sich selbst begreift er als Religionsstifter, der mit Mohammed und Jesus Christus vergleichbar sei. Es sind Äußerungen wie diese, die von schulmedizinischen Kritikern der Chiropraktik gerne aufgegriffen werden.
Rückenleiden als Goldgrube
Als Palmer 1913 stirbt, ist seine Schule bereits in Vertreter der reinen Lehre und sogenannte Mixer gespalten, die chiropraktische Methoden mit anderen Verfahren der alternativen Medizin verknüpfen. Ohnehin ist es eher Palmers Sohn Barlett Joshua, der die Lehre seines Vaters in ganz Amerika etabliert. Überall entstehen Ausbildungseinrichtungen, die Barlett Joshua Palmer steinreich machen. 1922 übernimmt er einen der ersten US-Radiosender in Davenport, über den er die Lehre verbreitet. Vor allem die Rückenleiden der arbeitenden Bevölkerung sind eine Goldgrube: Gegen sie ist in der Schulmedizin außer ein paar Salben und beschwichtigenden Worten kein Kraut gewachsen.
In den USA und Großbritannien gehört der Chiropraktiker schon bald zu den anerkannten Heilberufen – anders als in Deutschland, wo er sich erst langsam durchsetzen kann. Das hat vielleicht auch etwas mit der Ausbildung zu tun, die im Mutterland der Chiropraktik lang und teuer ist. In Deutschland wird sie ausschließlich als Fortbildung für Ärzte und Heilpraktiker angeboten.
Stand: 18.09.2015
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