Als die US-Serie über die fiktive jüdischen Arztfamilie Weiss im Januar 1979 zum ersten Mal in Deutschland gezeigt wurde, löste sie intensive gesellschaftliche Debatten über die NS-Vergangenheit aus. 40 Jahre nach der Erstausstrahlung senden WDR, NDR und SWR Fernsehen ab heute (7.1.2019) die US-Serie "Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss" erneut – auf Initiative des WDR. Ergänzt wird die Ausstrahlung durch die vom WDR produzierte Dokumentation "Wie ‚Holocaust‘ ins Fernsehen kam", die die Entstehung und Wirkung der Serie nachzeichnet. Wir sprachen mit Fernsehdirektor Jörg Schönenborn über die außergewöhnliche Programmentscheidung.
Herr Schönenborn, warum hat sich der WDR dazu entschieden, die Serie "Holocaust" zum aktuellen Zeitpunkt noch einmal auszustrahlen?
Als uns die Autorin Alice Agneskircher 40 Jahre später eine Dokumentation über die Erstausstrahlung der Serie im Jahr 1979 anbot, war für mich klar: Nur die Doku zu zeigen reicht nicht, wir sollten die ganze Serie noch einmal wiederholen. Natürlich spielt die aktuelle gesellschaftliche Lage bei der Programmentscheidung eine Rolle. Ich wünsche mir, dass die erneute Ausstrahlung einen doppelten Anstoß gibt. Die Serie kann daran erinnern, dass Antisemitismus – leider – kein historisches, sondern ein sehr aktuelles Phänomen ist. Ich bin froh, dass sich auch NDR und SWR dazu entschieden haben, die Serie noch einmal ins Programm zu nehmen, sodass möglichst viele Zuschauerinnen und Zuschauer die Gelegenheit haben, sie – noch einmal – mit aktuellem Blick zu sehen.
Außerdem ist "Holocaust" nicht nur Zeitgeschichte, sondern auch ein wichtiges Stück deutscher Fernsehgeschichte. Als ich mich vor einigen Jahren mit der Geschichte des WDR-Fernsehens beschäftigt habe, bin ich auf Artikel aus dem Jahr 1979 über die Erstausstrahlung von "Holocaust" gestoßen. Die Serie war damals in der ARD ein derartiges Politikum, dass sich der WDR gegen eine Ausstrahlung im Ersten entschied, und sie stattdessen in den Dritten lief. Dort erzielte die Serie bis zu 36 Prozent Marktanteil – das ist bis heute einmalig, und insofern ist "Holocaust" auch ein wichtiger Teil der Geschichte unseres Senders.
Bei der Erstausstrahlung von "Holocaust" im Jahr 1979 waren Sie 14 Jahre alt. Haben Sie die Serie damals gesehen? Was verbinden Sie mit ihr?
Wie viele meiner Generation habe ich "Holocaust" gemeinsam mit meinen Klassenkameraden im Unterricht gesehen. Einige Szenen wie die Bilder aus der Gaskammer werde ich nie vergessen. Und ich weiß noch: Im Geschichtsunterricht über die Judenvernichtung zu sprechen, war das eine. Aber mit der Serie hat nicht nur unser Kopf, sondern auch das Herz verstanden, was passiert war. Wenn eine Folge zu Ende war, war es in der Klasse immer erst ganz still, bevor wir begonnen haben, darüber zu sprechen.
Welche Reaktion hat die Serie damals in Bevölkerung hervorgerufen? Und was erhoffen Sie sich von der erneuten Ausstrahlung?
"Holocaust" wurde 1979 innerhalb von fünf Tagen in den zusammengeschalteten Dritten Programmen der ARD ausgestrahlt und hat die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit so gesehen in die deutschen Wohnzimmer gebracht. Die Serie hat in einem heute kaum noch vorstellbaren Maße Gespräche, Diskussionen und Debatten ausgelöst, in denen es darum ging, was jeder Einzelne in der Zeit des NS-Regimes gewusst und getan hatte.
Die TV-Kritiken gingen damals weit auseinander: Zum einen wurde der Serie vorgeworfen, historisches Geschehen zu trivialisieren. Auf der anderen Seite gab es Meinungen, wonach das Gezeigte der deutschen Bevölkerung nicht zuzumuten sei. Viele der damaligen Gründe gegen die Ausstrahlung waren vermutlich vorgeschoben. Ja, es war eine kommerzielle US-Produktion. Und ja, sie war ziemlich ausgeschmückt, trivial, in Details unrealistisch, und es wurde nicht immer sorgfältig mit den Fakten umgegangen. Aber tatsächlich war die Generation der Täter 1979 in allen wichtigen Positionen der Gesellschaft vertreten. "Holocaust" nahm ihnen die Deutungshoheit über ihre eigene Geschichte, und das hat einen Sturm ausgelöst.
Vermutlich hat die Serie dazu beigetragen, dass die Debatte über den deutschen Völkermord an den Juden, die viele damals gern beendet gesehen hätten, in der ganzen Breite der Gesellschaft erst so richtig begann. Wenn die Serie das mitbewirkt hat, ist es genau die Aufgabe, die öffentlich-rechtliches Fernsehen hat – auch heute noch.
Die Sendetermine im WDR Fernsehen:
7.1.2019, 22.00 Uhr, "Holocaust" – Teil 1
8.1.2019, 22.10 Uhr, "Holocaust" – Teil 2
14.1.2019, 22.10 Uhr, Dokumentation "Wie ‚Holocaust‘ ins Fernsehen kam"
14.1.2019, 22.55 Uhr, "Holocaust" – Teil 3
15.1.2019, 22.10 Uhr, "Holocaust" – Teil 4
Alle Folgen stehen jeweils eine Woche nach Ausstrahlung in der WDR-Mediathek.