Die Fraktion der Piraten hat in einer "kleinen Anfrage" an die Landesregierung wissen wollen, wie sich die Zahl der antisemitischen Straf- und Gewalttaten in NRW entwickelt hat. Die Antwort soll kommende Woche veröffentlicht werden, liegt dem WDR aber bereits vor. Danach hat die Kriminalpolizei in NRW im Jahr 2014 insgesamt 349 antisemitische Straftaten festgestellt. Das ist der höchste Wert seit zehn Jahren. 2013 wurden 249 Taten gezählt. Im Jahr 2006 waren es 310 - der zweithöchste Wert. Auch die Zahl der Gewaltdelikte - vor allem Körperverletzung - ist auf einem Zehnjahreshoch angekommen. 2014 werden 19 Fälle gezählt, 2013 waren es 14.
Die meisten Taten werden von Rechtsextremen verübt
Die allermeisten Verstöße sind Volksverhetzung und so genannte Propaganda-Delikte. Es handelt sich also um volksverhetztende Äußerungen gegenüber Juden und das Zeigen verbotener judenfeindlicher Symbole. Propaganda-Delikte werden fast ausschließlich von Rechtsextremen begangen. Auch bei Volksverhetzung sind in Dreiviertel aller Fälle Rechte die Täter. Ausländer sind für 20 Prozent der volksverhetzenden Taten verantwortlich. 15 Prozent der Sachbeschädigungen an jüdischem Eigentum geht auf das Konto von Ausländern. Und bei den Gewaltdelikten sind es ganze 33 Prozent.
Ein Gefühl der Bedrohung
Diese Zahlen geben wohlgemerkt nur solche Taten wieder, die von der Polizei erfasst werden konnten. Gerade bei Bedrohungen oder Beleidigungen, die der Zentralrat der Juden beklagt, dürfte die Dunkelziffer sehr hoch liegen. Das WDR-Magazin Westpol berichtete vergangene Woche über die Ängste von Juden in NRW. Demnach herrscht in den Gemeinden ein Gefühl der Bedrohung. Und das gehe vor allem von islamischer Seite aus, wie Irith Michelsohn, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Bielefeld, berichtete. Mit Rechtsextremen habe man schon lange zu tun. Die Islamisten seien neu dazugekommen. Aus den Zahlen des Innenministeriums geht das allerdings nicht direkt hervor. Die Religion wird in der Statistik nicht erfasst. Unterschieden wird zwischen Tätern aus dem Bereich des Rechts- und Linksextremismus und solchen mit einem ausländischen Pass.
Gleichwohl schätzt Innenminister Ralf Jäger (SPD) das Gefahrenpotenzial für Juden in NRW auch wegen der Islamisten derzeit als hoch ein. Wegen des Nahost-Konflikts gebe es eine "aktuelle Gefährdung", heißt es in der Antwort der Landesregierung. Jäger weist ausdrücklich auf "fanatisierte Einzeltäter" hin, die sich polizeilicher Prognostizierbarkeit entzögen. Auf die Frage, was der Minister angesichts der Bedrohung unternehmen wolle, verweist er auf Präventionsprogramme und mehr Polizei. Bis 2017 sollen 360 zusätzliche Polizisten eingestellt werden. Der Verfassungsschutz wird ab sofort mit 25 Stellen verstärkt. Darüber hinaus werde "fortlaufend" geprüft, wie gefährdet jüdische Einrichtungen sind.
Jüdische Gemeinden haben Sicherheitsdienste engagiert
Den jüdischen Gemeinden reicht das allein nicht aus. Leonid Goldberg, der Vizechef der Jüdischen Gemeinden am Nordrhein, sagte bei Westpol, dass seine Gemeinde einen Sicherheitsdienst engagiert habe, um jüdische Veranstaltungen zu schützen. Goldberg erzählte von Übergriffen und Beleidigungen, und dass die Polizei keinen vollständigen Schutz leisten könne. Das Land NRW gibt den jüdischen Gemeinden im Jahr bis zu zwei Millionen Euro für Sicherheitsmaßnahmen. Diese Summe, so Goldberg, sei aber nicht kostendeckend.
Juden in NRW
Nach dem Völkermord des Nazi-Regimes an den europäischen Juden lebten in Deutschland nur noch wenige Juden. 1955 gab es bundesweit 15.920 Bürger jüdischen Glaubens. Vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten im Jahr 1933 hatten etwa 500.000 Juden in Deutschland gelebt. Nach der Wiedervereinigung zogen viele Juden aus Osteuropa in die Bundesrepublik. Heute leben rund 100.000 in Deutschland. In NRW gibt es nach Angaben des Landesverbands der jüdischen Gemeinden Nordrhein insgesamt 19 jüdische Gemeinden mit etwa 27.000 Mitgliedern (Stand: Ende 2013). Die Tendenz sei leicht steigend, da sich die Geburtenzahl "kontinuierlich erhöht".