Der Angeklagte schwieg am ersten Prozesstag zu dem Mordvorwurf und zu seinem Lebenslauf. Er bestätigte dem Hagener Schwurgericht lediglich seine Personalien. Zu seiner Staatsangehörigkeit sagte der gebürtige Niederländer: "Ich bin seit 1942 Deutscher." Das Gericht ließ zudem einen Lebenslauf verlesen, den B. 1944 selbst verfasst hatte. Darin heißt es: "1941 ging ich freiwillig zur Waffen-SS." Im Gerichtssaal verfolgten auch Angehörige des erschossenen Widerstandskämpfers Aldert Klaas Dijkema den Prozessauftakt. "Ich möchte dem Angeklagten in die Augen sehen. Ich möchte sehen, ob er Angst hat", sagte Aldert Klaas Veldmann, ein Neffe des Opfers.
Angeblich auf der Flucht erschossen
Laut Anklage war der 92-Jährige zur Tatzeit Mitglied des deutschen Grenz- und Sicherheitspolizeipostens im niederländischen Delfzijl. Der heute in Westfalen lebende Angeklagte habe in der Nacht auf den 22. September 1944 gemeinsam mit einem Vorgesetzten - der 1985 verstorben ist - viermal von hinten auf Dijkema geschossen. Wie der Staatsanwalt weiter ausführte, sei der niederländische Widerstandskämpfer zu einem verlassenen Fabrikgelände in Appingedam gefahren worden. Dort sollen ihn die SS-Männer aufgefordert haben: "Geh mal eben pissen!" Kurz darauf seien die Schüsse gefallen. Zwei hätten den Widerstandskämpfer von hinten getroffen - auch in den Kopf. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass vermutlich beide SS-Männer geschossen haben. Einem Arzt soll später erklärt worden sein, dass Dijkema nach der Sperrzeit angetroffen wurde und auf Anruf nicht stehen geblieben sei. Deshalb sei er auf der Flucht erschossen worden.
Wegen Beihilfe zum Mord bereits verurteilt
Ein niederländisches Sondergericht hatte B. bereits 1949 in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Später wurde die Strafe in lebenslang abgewandelt. Das Urteil konnte jedoch nie vollstreckt werden, weil B. rund drei Jahrzehnte unter falschem Namen in Westfalen untergetaucht war. Als seine wahre Identität bekannt wurde, stellte die niederländische Regierung ein Auslieferungsersuchen. Es wurde 1978 zurückgewiesen, weil B. als ehemaliger SS-Mann unwiderlegbar die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hatte.
Erst Totschlag, jetzt Mord
Ein erstes Ermittlungsverfahren in Deutschland wegen der Tötung von Dijkema war 1978 eingestellt worden, weil die Tat ursprünglich als Totschlag und damit als verjährt eingestuft wurde. Damals war die deutsche Justiz der Auffassung, dass es sich bei Erschießungen von Widerstandskämpfern durch die NS-Besatzer nicht um Morde gehandelt habe. "Argumentiert wurde damit, dass das Mordmerkmal Heimtücke nicht erkennbar gewesen sei", sagte ein Sprecher des Hagener Landgerichts WDR.de am Montag (02.09.2013). Die Rechtssprechung hat sich jedoch geändert: Im März 2010 verurteilte das Aachener Landgericht den früheren SS-Mann Heinrich Boere zu lebenslanger Haft. Die Richter sprachen ihn der Tötung von drei niederländischen Zivilisten 1944 schuldig. Das Urteil erging wegen heimtückischen Mordes.
Im Jahr nach dem Aachener Boere-Urteil erfuhr die Dortmunder Staatsanwaltschaft, spezialisiert auf die Verfolgung von NS-Verbrechen, durch einen niederländischen Journalisten von dem Fall Dijkema und der mutmaßlichen Täterschaft von B. Sie nahm in dem Fall, den die deutsche Justiz längst zu den Akten gelegt hatte, neue Ermittlungen auf. Daraufhin klagte sie B. schließlich vor dem Landgericht Hagen an.
Schon der zweite Prozess
Es ist bereits der zweite Prozess gegen den 92-Jährigen. Wegen Beihilfe zur Erschießung zweier jüdischer Brüder war der ehemalige Zaunfabrikant schon 1980 in Hagen zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Davon hatte er zwei Drittel verbüßt. Laut Gericht kann wegen des hohen Alters und verschiedener Krankheiten des 92-Jährigen nur drei Stunden pro Tag verhandelt werden. Der Prozess wird am Donnerstag (05.09.2013) fortgesetzt. Das Hagener Schwurgericht hat zunächst insgesamt elf Verhandlungstermine anberaumt. Das Urteil soll am 26. September gesprochen werden.