Am 19. Januar 2001 explodiert in einem Lebensmittelladen an der Kölner Probsteigasse eine Bombe. Die damals 19-jährige Tochter des iranisch-stämmigen Inhabers wird schwer verletzt. Sie hat eine Christstollendose mit dem darin versteckten Sprengsatz geöffnet, die von einem Mann in einem Geschenkkorb im Geschäft zurückgelassen worden war. Die Polizei fertigt nach den Angaben des Geschäftsinhabers ein Phantombild an. Die Suche nach dem Täter bleibt damals allerdings erfolglos.
Erst nach der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 nimmt das BKA die Ermittlungen wieder auf. Der Grund: Auf der Bekenner-DVD des NSU wird auch der Anschlag in der Probsteigasse erwähnt. Das Phantombild wird daraufhin unter anderem dem NRW-Verfassungschutz vorgelegt, mit der Bitte den darauf abgebildeten Mann nach Möglichkeit zu identifizieren.
Informant soll Ähnlichkeit mit Phantombild haben
Die "Welt am Sonntag" berichtet nun in ihrer aktuellen Ausgabe (14.06.2015), die damalige Chefin des NRW-Verfassungsschutzes, Mathilde Koller, habe daraufhin 2012 mehrere dienstliche Erklärungen an die Bundesanwaltschaft verfasst. In ersten Vermerk habe sie geschrieben, das Phantombild weise "Ähnlichkeiten" mit einem Kölner Rechtsextremisten auf - Anhaltspunkte für einen Tatbeteiligung des Mannes bestünden jedoch nicht. Eine Woche später habe die Verfassungsschutzchefin einen zweiten Vermerk geschrieben, der bislang nicht öffentlich bekannt war.
In diesem zweiten Vermerk heißt es nach Angaben der "Welt am Sonntag", der Kölner Rechtsextremist sei "seit 1989 als geheimer Mitarbeiter für den Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen tätig". Der Informant ist laut der Zeitung damals auf den Kölner Rechtsextremisten Axel Reitz und dessen Gruppierungen angesetzt worden. Dazu habe unter anderem die mittlerweile verbotene Kölner "Kameradschaft Walter Spangenberg" gehört. Vier Monate, nachdem Mathilde Koller die beiden Vermerke geschrieben habe, habe sie um Versetzung in den Ruhestand gebeten - "aus persönlichen Gründen", wie es offiziell geheißen habe.
NRW-Verfassungschutz will sich nicht äußern
Der NRW-Verfassungsschutz will sich zu der Angelegenheit nicht äußern. "Zu V-Leuten geben wir grundsätzlich keine Auskunft", sagte Sprecher Ludger Harmeier am Montag (15.06.2015) dem WDR. Er könne die Angaben der Zeitung weder bestätigen noch dementieren. Versäumnisse des NRW-Verfassungsschutzes kann Harmeier nicht erkennen: "Wir haben den Generalbundesanwalt informiert und gehen davon aus, dass dort und beim BKA sorgfältig ermittelt wurde."
Bislang wurde der angebliche Informant des NRW-Verfassungsschutzes offenbar nicht vernommen. Die Generalbundesanwaltschaft geht nach ihren Ermittlungen davon aus, dass der Mann mit dem Anschlag in der Probsteigasse nichts zu tun hat. Bereits im vergangenen Dezember erklärte der Sprecher der Behörde dem WDR, es gebe "keinen tragfähigen Ansatzpunkt" für eine Vernehmung des Rechtsextremisten.
Thema im NSU-Untersuchungsausschuss
Für die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses des NRW-Landtags hingegen sind weiterhin Fragen offen. "Weshalb ist dem Hinweis der ehemaligen Verfassungssschutzpräsidentin Mathilde Koller auf eine mögliche Verbindung des Kölner Neonazis [gemeint ist der V-Mann; die Redaktion] zu dem NSU-Attentat in der Probsteigasse nicht intensiver nachgegangen worden?" Das möchte der CDU-Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtages, Peter Biesenbach, von der Landesregierung wissen. Und weiter sagte er am Montag (15.06.2015): "Steht Frau Kollers vorzeitiger Rückzug von der Spitze des NRW-Verfassungsschutzes im Juni 2012 in einen Zusammenhang mit der Enttarnung des Informanten des nordrheinwestfälischen Verfassungsschutzes?"
"Sollten sich diese neuen Informationen als richtig erweisen, dann hat der Verfassungsschutz offenbar gezielt Informationen der Polizei vorenthalten, um seine Quelle zu schützen", erklärte der FDP-Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss , Joachim Stamp am Montag. "Das wäre skandalös." Falls der NRW-Verfassungsschutz Kapitalverbrechen billigend in Kauf genommen haben sollte, habe er den Rechtsstaat pervertiert. "Wir werden im Untersuchungsausschuss jedes Aktenblatt herumdrehen", so Stamp.