Die Ursache für das Unglück im sachsen-anhaltinischen Nachterstedt, bei dem am Samstag (18.07.2009) zwei Häuser in einen Tagebausee gerissen und vermutlich drei Menschen verschüttet wurden, ist weiter ungeklärt. Experten vermuten allerdings eine Spätfolge des dortigen Braunkohleabbaus, der 1991 beendet wurde.
Im rheinischen Braunkohlerevier ist der Abbau in den Gebieten Garzweiler, Hambach und Inden dagegen noch im vollen Gange - erst 2045 wird dort die letzte Kohle gefördert worden sein. Aber dann soll auch dort ein Großteil der Abbaulöcher geflutet werden. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) befürchtet daher in NRW ähnliche Szenarien wie jetzt in Sachsen-Anhalt. Tausende Anwohner seien im rheinischen Kohlerevier einem "nicht abzuschätzenden Risiko" ausgesetzt.
SPD fordert Aufklärung von der Landesregierung
"Wir appellieren an das Land, den Ernst der Lage zu würdigen", sagte am Montag (20.07.2009) der Dürener Bürgermeister Paul Larue. Der CDU-Politiker forderte, die Planungen für die Flutung des Tagebaus Inden zu stoppen, bis die Ursache für das Unglück in Nachterstedt geklärt ist. Nicht weit vor den Toren der Stadt soll ab 2030 der elf Quadratkilometer große Tagebausee Inden entstehen. 40 Jahre lang soll Wasser aus der Rur in das Tagebauloch einfließen und damit den größten See Nordrhein-Westfalens bilden. Die Landesregierung solle den vom Braunkohleausschuss befürworteten See ablehnen, schloss sich am Montag die Interessengemeinschaft Düren-Merken den Forderungen der Stadt an.
Am Dienstag (21.07.2009) verlangte der Bürgermeister der Stadt Erkelenz, Peter Jansen, dass die Ursachen des Unglücks in die Planungen für den Tagebausee Garzweiler einfließen müssten. Die Flutung des größten Restsees im Rheinland soll 2045 beginnen und bis zu 60 Jahre dauern.
NRW-Bergbau-Aufsicht prüft
Die Reaktion aus Düsseldorf ist eher zurückhaltend: Die Beantwortung der Frage, inwieweit ein Abrutschen der Böschung auch in NRW möglich sei, "kann erst erfolgen, wenn die Fachleute die genaue Ursache für das Unglück in Sachsen-Anhalt kennen", teilte das Wirtschaftsministerium mit. Die Bergbau-Aufsichtsbehörden hätten unverzüglich über einen Handlungsbedarf für die Braunkohlentagebaue in NRW diskutiert. Noch sei aber die genaue Ursache für das Unglück in Nachterstedt nicht bekannt. Die Bergbau-Aufsicht und der Geologische Dienst verfolgen den Angaben zufolge die Ermittlungen intensiv. Nach bisherigen Erkenntnissen seien die geologischen und hydrogeologischen Verhältnisse in Sachsen-Anhalt und NRW sehr unterschiedlich.
Skepsis in Düren
In Düren ist die Skepsis gegenüber den See-Plänen groß. Während sich 14 Nachbargemeinden für die Flutung des Tagebaus Inden, galt die Stadt immer als Bedenkenträger. Jetzt sehen sich die Skeptiker bestätigt, denn Gegenden wie die um Nachterstedt wurden die Rheinländern immer als Paradebeispiele gelungener Renaturierung von Tagebau-Arealen präsentiert.
Unterstützung erhalten die Dürener auch vom stellvertretenden Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion Norbert Römer. Der forderte in einer Erklärung die Landesregierung auf, die Ängste der Menschen in der Region ernst zu nehmen. Erdrutschgefahr durch den geplanten See müsse definitiv ausgeschlossen werden, so Römer. Die Landesregierung solle prüfen, ob neue Gutachten für das rheinische Revier in Auftrag gegeben werden müssten.
100 Meter Sicherheitszone
"Wegen der enormen Dimensionen der rheinischen Braunkohlentagebaue ist die Gefahr von Erdrutschen hier sogar wesentlich größer als in Ostdeutschland", sagte Dirk Jansen, Braunkohleexperte des BUND. Eine Einschätzung, die der Geologische Dienst Nordrhein-Westfalen nicht teilt.
Erdrutschkatastropen wie in Nachterstedt seien im rheinischen Braunkohlegebiet nahezu unmöglich. Zwar gebe es bei den geplanten riesigen Seen ein "gewisses Risiko", sagte Ludger Krahn. "Der neuralgische Punkt sind die Böschungen", so Krahn. Deren Neigungswinkel sei entscheidend für die Abrutschsicherheit. Es werde im rheinischen Revier lückenlos überwacht, ob sich Risse andeuten, und schließlich gebe es eine weiträumige Sicherheitszone rund um die Abbaulöcher. Diese Zone beträgt nach Angaben des Wirtschaftsministeriums die halbe Tagebautiefe, mindestens aber 100 Meter.
Betreiber sieht Sicherheit gewährleistet
Die Essener Firma RWE Power, die die drei rheinischen Tagebaue betreibt, sieht zurzeit keinen Anlass, ihre Aktivitäten einzuschränken oder zu überprüfen. Unternehmenssprecher Lothar Lambertz teilte am Montag mit, dass die Situation in Nachterstedt nicht auf die Verhältnisse im Rheinland übertragbar sei. "Eine Gefährdung für die Bewohner im uinmittelbaren Umfeld unsere Tagebaue gibt es nicht", so Lambertz.
Auch er nennt die Gestaltung und Überwachung der Böschungen sowie die großräumigen Sicherheitszonen als Garant gegen ein Abrutschen des Erdreichs. Zudem, so der Unternehmenssprecher, seien alle bereits bestehenden Seen ebenso wie die geplanten neuen Projekte mit "breiter Unterstützung aller Gremien und der Bevölkerung" realisiert beziehungsweise beschlossen worden. Sie trügen auch zur hohen Lebensqualität im rheinischen Revier bei.