Rund 1.800 alte, bisher unbekannte Zechenschächte haben die Fachleute in den vergangenen Jahren bei Routine-Kontrollen der Bezirksregierung Arnsberg gefunden. Im Rahmen des neuen Landes-Präventivprogramms "Risikomanagement" werden diese alten Gruben jetzt genauer geprüft und gesichert. 200 Bergstollen stehen bereits auf der Gefahrenliste. Die besonders stark gefährdeten Schächte sollen nun bis zum Frühjahr kommenden Jahres mit einem Zementgemisch verfüllt werden, das zu Beton aushärtet. Sie liegen in Dortmund, Hattingen, Wetter, Sprockhövel und Witten. Auch in Essen bohren die Fachleute derzeit unter einer Schule. Und in Haßlinghausen hatte ein Landwirt am 2. August 2011 ein großes Loch auf seiner Weide entdeckt. Jetzt besteht im Umkreis von 600 Metern akute Einsturzgefahr.
Pötzlich bebte die Erde
Auch der Gerüstbauer Matthias Pingel aus Sprockhövel arbeitete Jahre lang genau oberhalb eines stillgelegten Zechenschachtes, von dem er nichts wusste. Vor zwei Jahren brach in der Nähe seiner Firma ein großes Wasserrohr - und plötzlich standen Mitarbeiter der Bezirksregierung Arnsberg vor der Tür und teilten ihm mit: "Ihre Lagerhalle bebt – Sie müssen hier raus!" Die Hohlräume des Schachts sind bis zu 50 Meter tief. Ein Großteil der Halle hätte schon bald darin versinken können.
Wo sind die Schächte?
Früher griff man erst ein, wenn es bereits zu einem Tagesbruch gekommen war. "Es ist neu, dass man die Schächte schon vorab überprüft", erklärt Andreas Nörthen von der Bezirksregierung Arnsberg. Die vielen alten Stollen unter der Erde zu sichern ist nicht einfach: Bergbau-Archive sind ungenau, Jahrhunderte alte Karten lückenhaft; viele Pläne gingen im Krieg verloren. Ingenieure versuchen deshalb durch Schallwellen und Testbohrungen Löcher zu finden. Das Präventivprogramm des Landes NRW bietet ihnen die Gelegenheit. Das Hauptproblem, so Nörthen: "Wir kennen etwa 30.000 Schächte in NRW. Aber vermutlich gibt es doppelt so viele."
15.000 Tonnen Zement für einen Schacht
Jedes Jahr finden die Behörden bis zu 100 unbekannte Zechengruben, weiß Andreas Nörthen. "Viele von ihnen stammen sogar noch aus dem 15. Jahrhundert. Die meisten Stollen liegen im Ruhrgebiet und im Siegerland." Hier kam es in den vergangenen Jahren auch immer wieder zu schwereren Tagesbrüchen, etwa in Siegen, Witten Hattingen, Unna. In Mülheim ist aktuell eine Bahnstrecke gesperrt, weil unter den Gleisen ein bisher unbekannter Stollen gefunden wurde. Der größte Tagesbruch allerdings sorgte vor elf Jahren in Bochum für Aufsehen, als sich mitten in einem Wohngebiet ein riesiger Krater öffnete. Er löste ein Umdenken bei den Politikern aus. Seitdem werden die alten Schächte genauer erforscht und gesichert. Aber erst mit Hilfe des Risikomanagements kann man nun besser vorbeugen.
Ende des Bergbaus 2018: schmutziges Grundwasser?
Für fast 1.850 bereits geprüfte Schächte übernimmt kein Bergbau- oder Nachfolge-Unternehmen mehr die Verantwortung. Für sie muss das Land zahlen. Die noch aktiven Unternehmen - wie zum Beispiel die RAG - verpflichteten sich im Rahmen einer Ewigkeitsvereinbarung, ihre Schächte zu sichern. Dennoch: Tausende Gruben sind noch unbekannt - und in sieben Jahren wird der Bergbau in NRW beendet. Dann steigt das Grundwasser wieder, das derzeit noch aufwendig abgepumpt wird. Wenn man die Schächte jetzt nicht sichere, werde das Grundwasser durch das Grubenwasser verunreinigt, warnt die Bezirksregierung in Arnsberg. Das Grubenwasser kann beispielsweise mit den Substanzen Uran und Radium sowie mit Schwermetallen belastet sein, die allesamt krebserregend sind. Auch Schimmelpilze können durch das Verfaulen des Holzes unter der Erde entstehen. Außerdem, so die Bezirksregierung, könne es zu Erdrutschen kommen. Das NRW-Wirtschaftsministerium will nach eigener Aussage in den kommenden Jahren mehr Geld für die Vorsorge ausgeben.
Rettung durch 2.000 Tonnen Zement
Bei Matthias Pingel rattern seit einer Woche die großen Füllmaschinen und drücken rund 2.000 Tonnen graue Zement-Flüssigkeit durch die Bohrlöcher unter den Hallenboden. Die Straße ist teilweise gesperrt. Zementsäcke, Container und Raupen stehen hinter hohen Absperrgittern. Die Nachbarn sind besorgt. Eine ältere Dame erinnert sich an den Krieg: "Damals waren wir froh, dass man sich hier ein Eimerchen Kohle aus dem Boden holen konnte. Da hat niemand daran gedacht, dass deshalb hier heute die Erde beben könnte." Nur etwa 100 Meter neben den Absperrungen entfernt spielen Kinder Fußball auf einer Wiese. Dass unter ihnen vielleicht noch tiefe Hohlräume liegen, ahnen sie nicht.