Sonderabfall in alten Stollen
Wie gefährlich ist der Müll im Bergwerk?
Stand: 15.07.2013, 13:55 Uhr
Giftiger Sondermüll in alten Bergwerks-Stollen. Ein Landwirt, der von verseuchten Böden berichtet. Umweltschützer, die vor Risiken warnen. Und ein Bergbaukonzern, der alle Bedenken beiseite schiebt. WDR.de beantwortet Fragen rund um den Müll im Bergbau.
Von Martin Teigeler
Wie kam der Müll in die Zechen?
In den 90er-Jahren geriet die damalige SPD-Landesregierung politisch unter Druck, weil es in Nordrhein-Westfalen nicht genug Entsorgungsmöglichkeiten für Sondermüll gab. In vielen Kommunen wurde über die Notwendigkeit neuer Sonderdeponien debattiert. Es hagelte Bürgerproteste. Niemand wollte den giftigen Abfall vor seiner Haustür haben. In dieser Zeit wurde durch NRW-Landesregierung und Zechenbetreiber dann eine Idee in die Tat umgesetzt, die nach Angaben des Kohlekonzerns RAG (ehemals Ruhrkohle AG) vom Montag (15.07.2013) bereits Anfang der 80er-Jahre entstanden war, die "Verbringung von Reststoffen unter Tage". Die Einlagerung des Mülls sollte dazu dienen, stillgelegte Gruben gegen Einsturzgefahr zu sichern und damit Schäden an der Oberfläche zu vermeiden.
Wo und wann wurde Müll in Bergwerken entsorgt?
In ersten Versuchen wurden die Reststoffe laut RAG auf den Bergwerken Zollverein (Essen), Consolidation und Ewald-Hugo (Gelsenkirchen) und Walsum (Duisburg) in 800 Metern Tiefe "hinter dem Streb oder hinter Dämmen in aufgegebene Strecken verpresst". Auf dem Bergwerk Haus Aden (Bergkamen) und später Walsum wurden zwischen 1991 und 2004 demnach rund 650.000 Tonnen "nach dem Prinzip des vollständigen Einschlusses" abgeladen. Eine Machbarkeitsstudie der Landesbehörden hatte die Verpressung mit Zement über Rohre in die Tiefe für unbedenklich erklärt. Durch eine Verfestigung der Substanzen gebe es keine Gefahr für die Umwelt.
Um welche Stoffe handelte es sich genau?
Deponie Eyller Berg
Wie die RAG mitteilte, handelte es sich neben Kraftwerksabfall um Rückstände aus der Stahl- und Zementproduktion, aus der Hausmüll- und Klärschlammverbrennung sowie um Altsande aus dem Gießereibetrieb. "Die ökologischen Anforderungen an eine Reststoffverwertung sahen entweder eine sogenannte immissionsneutrale Verbringung (die Eigenschaften der Reststoffe gleichen denen des umgebenden Gesteins) oder aber den vollständigen Einschluss vor (das Material wird dauerhaft von der Biosphäre ferngehalten)", so das Unternehmen. "Von den eingelagerten Stoffen gehen keine Risiken für die Umwelt aus. Darauf wurde damals besonderer Wert gelegt. Dies gilt genauso noch heute und auch in Zukunft", betonte die RAG. Die regelmäßig durchgeführten Analyseergebnisse des Grubenwassers würden dies bestätigen. Wer mit der Einlagerung wie viel Geld verdiente, blieb offen.
Was geschah nach der Entsorgung?
Die untertägige Verfüllung wurde zu Beginn des Jahrtausends eingestellt. Ein Grund laut RAG: Die Verfüllung habe, auch was die Minimierung von Bergschäden über Tage betraf, "nicht die erhofften Verbesserungen" erbracht.
Was sind die Risiken?
Die RAG sieht keine Risiken. Auch die oberste NRW-Bergbehörde in Arnsberg erklärte auf Anfrage, man halte die Müllverpressung nach wie vor für sicher. Umweltschützer sehen das anders. "Wir haben vor 20 Jahren schon vor dieser Methode gewarnt", sagte Dirk Jansen vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in NRW zu WDR.de. Hochgiftige Filterstäube - belastet mit Dioxin, Furan und Cadmium - seien in den Zechen mit Zement "verpresst" worden. "Die Sorge ist nun, dass die Stoffe sich eben nicht sicher verfestigt haben, sondern dass sie über den Anstieg des Grubenwassers wieder nach oben kommen", sagte der Umweltschützer. Bereits in den 90er-Jahren habe es Hinweise gegeben, dass Arbeiter bei der Unter-Tage-Verpressung mit Dioxin in Kontakt gekommen seien. Schläuche seien geplatzt. "Leider ist es so, dass die Genehmigung der Entsorgungsmethode durch die Bergbehörden keine Umweltkontrolle zuließ." Jansen fordert jetzt intensive Boden- und Wassermessungen in den betroffenen Gebieten. Einig sind sich Umweltschützer und RAG in einem Punkt. An die verpressten Giftstoffe kommt man jetzt nicht mehr ran.
Wie entstand das neue Gutachten?
NRW-Umweltminister Johannes Remmel will die Altlasten bei der RAG überprüfen
Auftraggeber des Gutachtens ist der Landwirt Hermann Schulze-Bergcamen aus Bergkamen. Der 65-jährige Bauer liegt seit Jahren mit der RAG im Clinch. Unter seinem 180-Hektar-Bauernhof wird seit Jahrzehnten Kohle abgebaut. Laut "Spiegel" beobachtete Schulze-Bergcamen "ungewöhnliche Phänomene" auf seinen Getreidefeldern. Wo Wasser austrat, sei nichts mehr gewachsen. "Die Flächen sehen über Wochen aus, als wären sie verätzt oder vertrocknet", sagte Schulze-Bergcamen dem Magazin. Da die RAG sich nicht in der Verantwortung für die Schäden sieht, beauftragte der Landwirt den Wasserexperten und Ex-Abteilungsleiter im NRW-Umweltministerium, Harald Friedrich, mit der Erstellung eines Gutachtens. Er fühle sich von den Bergbehörden "irregeführt" und von der RAG "bewusst getäuscht", sagte Schulze-Bergcamen auf WDR.de-Anfrage. Friedrich hat nach eigenen Angaben in seiner Expertise "Indizien" zusammengetragen, die darauf hindeuten, dass kontaminiertes Wasser aus den Stollen-Tiefen eben doch aufsteigen könnte. Friedrich und Schulze-Bergcamen wollen das Gutachten nach der Sommerpause bei NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) vorstellen.
Was sagen die Politiker?
Umweltminister Remmel kündigte am Montag ein "Sondermess-Programm" an. Überall wo Grubenwasser austritt, werde das Landesumweltamt Messungen auf mögliche Giftstoffe vornehmen, sagte der Grünen-Politiker in Düsseldorf. Außerdem solle "systematisch erfasst" werden, wo genau Müll eingelagert worden sei. Der Fall dürfte auch ein politisches Nachspiel im Landtag haben. Der CDU-Umweltexperte Rainer Deppe bezeichnete die "Spiegel"-Recherchen als "besorgniserregend". "Die betroffenen Bürgerinnen und Bürger sind verunsichert. Ihr Schutz muss oberste Priorität haben", sagte der Abgeordnete. Auch die Rolle des Landes müsse aufgeklärt werden.