Amerika kann noch lachen
Tag 8: Besuch bei David Letterman
Stand: 19.09.2001, 17:49 Uhr
Für Jan Rudd aus dem New Yorker Stadtteil Harlem ist David Letterman der Größte. Seit gut zehn Jahren lässt sie kaum eine seiner "Late Night"-Shows aus. Es sei denn, sie ist beschäftigt: Oft steht die Frau selbst als Komikerin auf der Bühne. Meistens spät abends, wenn im Fernsehen gerade Letterman läuft. Jetzt konnte Jan Rudd Amerikas populärsten Entertainer hautnah erleben.
Von Herbert Bopp
Gelegenheit dazu gab es im Ed Sullivan Theatre am Broadway. Dort hatte Anfang der sechziger Jahre der Triumphzug der Beatles durch Amerika begonnen. Die gebürtige Kanadierin saß neben mir, als CBS die Mittwochausgabe der "Late Night Show" aufzeichnete. Sie wolle aus erster Hand wissen, hatte sie WDR.de vor der Sendung erzählt, "wie es in diesen Vorkriegstagen um den Humor der Amerikaner bestellt ist." Ihr Urteil danach: "Sie haben das Lachen nicht verlernt." Karten für die "Late Night Show" zu bekommen, ist unter normalen Umständen fast wie ein Sechser im Lotto. Die Wartezeit beträgt bis zu sieben Monate. Selbst dann kann CBS für nichts garantieren. Oft überlegt es sich der große Meister von einem Tag zum anderen, eine künstlerische Pause einzulegen. Dann bleiben die Fans draußen vor der Tür.
New York fehlen die Touristen
Doch seit dem Terroranschlag auf das World Trade Center am Dienstag voriger Woche ist in New York nichts mehr wie es war. Das hatte es wohl noch nie gegeben: Wenige Stunden vor der Letterman-Aufzeichnung waren noch Freikarten zu haben. New York fehlen seit dem Luftangriff die Touristen. Am Broadway werden Tickets zu Schleuderpreisen verscherbelt. Und lachen mit Letterman wollen in diesen Tagen offensichtlich auch weniger als sonst.
"Tun Sie uns einen Gefallen", hatte die Platzanweiserin vor der Show in die wartende Menge gerufen, "klatschen Sie heute besonders heftig. Dave braucht das zur Zeit." Wohl wahr: Am vergangenen Montag, nach einer mehrtägigen Zwangspause, hatte es Letterman als erster der amerikanischen Star-Entertainer gewagt, wieder auf Sendung zu gehen. Es wurde eine denkwürdige Veranstaltung: CBS-Anchorman Dan Rather war zu Gast. Er brach in Tränen aus, als er vom WTC-Desaster sprach. Dave Letterman weinte mit.
NRW-Touristen: "Bitte kein Foto!"
Nicht so am Mittwochabend. Da war Dave schon fast wieder der Alte. Zwar verzichtete er auf seinen gewohnten Einstiegs-Monolog. Dafür gab's ein paar Witze vom Blatt: "Je mehr ihr lacht, desto mehr Jokes gibt's." - "Ganz wie Harald Schmidt", stellte ein Touristenpaar aus Dortmund fest. Von WDR.de interviewen lassen wollten sich die beiden NRW-Besucher nicht. Fotografieren lassen gleich gar nicht: "Die könnten ja in Deutschland sonst noch was von uns denken." Gefallen hat den Beiden die Letterman-Show "echt gut". Ein richtiger Profi eben, das müsse man ihm lassen.
Als Talkmaster musste sich Letterman am Mittwoch mit B-Prominenz begnügen: Matthew Broderick nahm Platz. Er tritt zurzeit in einem Broadway-Stück auf. "Es ist nichts verkehrt damit", warb der New Yorker Broderick, "in diesen Tagen ins Theater zu gehen, um auf andere Gedanken zu kommen."
Der Mann, der Bin Laden interviewte
Faszinierend dann der nächste Studiogast: ABC-Korrespondent John Miller. Er ist der letzte Journalist - und einer der ganz wenigen überhaupt - der Osama Bin Laden fürs Fernsehen interviewt hat. Auf dem Weg zu Bin Ladens verstecktem Camp sei ihm aufgefallen, erzählte Miller, in welch schlechtem Zustand die Zufahrt zum Haus des mutmaßlichen Drahtziehers der jüngsten Terroranschläge gewesen sei. Reporter Miller: "Dabei hat Bin Ladens Familie ihr Vermögen doch im Baugeschäft gemacht." Letterman zu John Miller: "Haben sie noch Kontakt mit dem Mann?". Miller: "Nein". Letterman: "Sie meinen, er hat Ihnen nicht seine Visitenkarte zugesteckt?"
Auch Tränen gab es wieder bei "America's Funniest Man" (CBS-Werbung). Doch diesmal war es nicht der Showmaster, der feuchte Augen bekam. Viele im Publikum ließen ihren Gefühlen freien Lauf, als "Odetta and The Harlem Boys Choir" "Amazing Grace" sangen. Irgendwann hatte es dann auch Paul Shaeffer erwischt: Der hippste aller hippen Bandleader rieb sich verschämt die Tränen aus dem Gesicht.