Die gute Seele von Soest
Eine deutsche Arbeitsgruppe hilft in New York
Stand: 10.09.2002, 14:44 Uhr
Marita Weissenburg sieht nicht nur aus wie eine gute Seele. Sie ist es auch. Die gute Seele von Soest. Freundlich, mit wachen Augen und kräftiger Stimme. Dabei immer redlich um die Wahrheit bemüht. Und ja nicht zu viel über sich selbst erzählen. Immer waren es "andere", die mindestens genau so viel geleistet haben wie sie. Fakt ist: Marita Weissenburg, früher Soest, heute New York, hat eine Menge geleistet.
Von Herbert Bopp
Als Gründungsmitglied der "Arbeitsgruppe 11. September" hat Frau Weissenburg Trost gespendet, Gelder verwaltet, Unterkünfte besorgt und Trauerarbeit geleistet. Natürlich hat Frau Weissenburg das nicht alleine gemacht: "die Anderen" haben mit gearbeitet.
"Gott ist nicht der Weihnachtsmann"
"Die Anderen", das sind ein halbes Dutzend Männer und Frauen, die der Deutschen Evangelischen Lutherischen St. Pauls-Kirche in Manhattan angehören. Der Pastor heißt dort Sönke Schmidt-Lange und dürfte manchen WDR.de-Lesern noch in Erinnerung sein. Von Pastor Schmidt-Lange stammt das Zitat "Gott ist nicht der Weihnachtsmann" - nachzulesen im New York-Tagebuch vom vorigen Jahr.
Als nach dem 11. September die Trauer groß und die Zeit knapp war, ging die Gruppe daran, sinnvolle Arbeit für die Hinterbliebenen der WTC-Katastrophe zu verrichten. Zum Beispiel Gelder verteilen. Da kam Marita Weissenburg ins Spiel. Sie war Bankkauffrau in Soest. Seit dreieinhalb Jahren lebt sie mit ihrem Mann Martin und Tochter Astrid (14) im New Yorker Vorort White Plains. Martin Weissenburg hatte am 11. September geschäftlich im Bundesstaat Minnesota zu tun. Der Luftraum war dicht. Also setzte er sich ins Auto und legte die 20-stündige Heimfahrt zu Frau und Kind mit dem Leihwagen zurück.
32.000 Mark Spenden aus Deutschland
Nach 9/11 öffneten sich nicht nur die Herzen, sondern auch die Kassen. Auch in Deutschland war die Hilfsbereitschaft groß. Das in Bielefeld erscheinende "Westfalenblatt" hatte 32.000 Mark zu verschenken. So viel hatten Leser der Zeitung für die Hinterbliebenen der WTC-Katastrophe gespendet. Aber wohin mit dem Geld? Marita Weissenburg sagt, die Suche nach einem Spenden-Empfänger sei schwierig gewesen: "Jeder war in Not". Schliesslich wurde die "AG 11. September" fündig: Jill Gartenberg, eine schwangere junge Frau, die beim Einsturz der Türme ihren Mann verloren hatte, erhielt schließlich die 32.000 Mark. Den Scheck überreichte Marita Weissenburg am achten März. Vier Tage später brachte die junge Witwe ihr Kind zur Welt: ein gesundes Mädchen namens Jamie-Michelle.
"Keine Angst, wir schaffen das!"
Jill Gartenberg hatte sich der Arbeitskreis als Spendenempfängerin auserkoren, weil ihr Mann Heroisches geleistet hatte. Gefangen im brennenden North Tower, appellierte James Gartenberg im Fernsehsender ABC über Handy an alle, die Angehörige im WTC hatten: "Keine Angst", hatte er immer wieder gesagt, "wir schaffen das." James Michael Gartenberg schaffte es nicht. Er starb in den Trümmern des World Trade Center. Besonders tragisch: James Gartenberg war gerade dabei, seinen Schreibtisch zu räumen, als die Flugzeugbomben kamen. Es war sein letzter Arbeitstag im WTC.
Tausende Mails, Briefe und Bilder kamen aus Deutschland
Doch nicht nur große Summen brachte der "Arbeitskreis 11. September" unter die Opfer. Auch zahllose kleinere Spenden gingen bei der St. Pauls-Kirche aus Deutschland ein. "Und alle wurden sie redlich verteilt", sagt Marita Weissenburg. Verteilt wurden auch die 14.000 Mails, Briefe und Faxe, die der Frankfurter Radiosender FFH an die Deutsche Kirche nach Manhattan geschickt hatte. Es waren Kondolenzschreiben, handgemalte Bilder, Fotos, Beileidsbezeugungen von deutschen Hörern an die Angehörigen der Terror-Opfer. Marita Weissenburg half, die Schreiben an die entsprechenden Stellen weiter zu leiten: vom Oberbürgermeister bis zum Präsidenten.
6.000 Mark vom Feuerwehrball
Und dann waren da noch die deutschen Feuerwehrleute, die ihren amerikanischen Kollegen Trost und Geld spenden wollten. Die Freiwillige Feuerwehr Weiterstadt bei Darmstadt hatte den Reinerlös des Feuerwehrballs locker gemacht: rund 6.000 Mark. Die Feuerwehr Goslar lud 14 Feuerwehrmänner aus Manhattan nach Deutschland ein. Zuvor waren drei Wehrleute aus Goslar nach New York gereist, um ihren Kollegen Trost zu spenden. Die deutschen Jungs übernachteten bei den US-Boys in der Feuerwehrhalle. Organisiert hat das alles die gute Seele von Soest.
"Man kommt an seine Grenzen"
Ein Jahr nach den Terroranschlägen zieht auch die Arbeitsgruppe 11. September Bilanz: Rund 140.000 Mark wurden verteilt, zahlreiche Spendenquittungen ausgestellt und über jeden Pfennig Buch geführt. Und mittendrin noch die Euro-Umstellung - "es hat gereicht", sagt Marita Weissenburg über den Arbeitsaufwand. "Es reicht", sagt Frau Weissenburg auch jetzt wieder. "Emotional kommt man irgendwann an seine Grenzen", sagt sie. Marita Weissenburg hat sich ihre eigene Gute-Seele-Philosophie zurecht gelegt: "Ich musste einfach irgend etwas tun, um mit der Trauer und der Verzweiflung um mich herum klar zu kommen."