"Wahnsinn, oder??"
Reaktionen auf die Anschläge im Netz
Stand: 12.09.2001, 07:00 Uhr
"Ich bin total schockiert darüber, was gestern passiert ist. Ich habe jetzt total Angst, dass ein Krieg ausbricht! Oh Gott, hab ich Angst! Ich bete dafür, dass es nicht passiert. W.B. muss einfach eine gute Lösung finden, ohne dass dabei Menschen umkommen." (Regina, 15 Jahre alt, im WDR.de-Gästebuch)
Es brodelt im Internet. Seit den Terroranschlägen in New York und Washington ist auch im weltweiten Netz nichts mehr so wie vorher. Zahlreiche ad hoc eingerichtete Diskussionsforen auf Nachrichtenportalen, privaten Homepages, Suchdiensten und Firmenwebsites verzeichnen einen enormen Andrang. Menschen in aller Welt nutzen das globale Kommunikationsmittel, um ihrer Wut, Angst und Verzweiflung spontan Ausdruck zu verleihen, und sich mit anderen auszutauschen. Gebete und Wünsche für eine friedliche Zukunft finden sich im virtuellen Kondolenzbuch der evangelischen Kirche Deutschlands. "Ich wünsche und bete vor allem, dass aus dem Wunsch nach Rache heraus jetzt nicht noch alles schlimmer gemacht wird", hofft ein Besucher. In verschiedenen Newsgroups des Usenets herrscht ein harscherer Umgangston. Seit Dienstag (11.09.01) sind tausende von Postings mit Hasstiraden gegen die islamische Welt eingelaufen. Den Anhängern des Terroristen Osama Bin Laden und allen Palästinensern in aller Welt wurde mit Vergeltung gedroht.
Riesiger Ansturm auf Nachrichtenseiten
Auch die Zugriffe auf nationale und internationale Nachrichtenseiten nahmen kurz nach den ersten Meldungen über die Katastrophe rasant zu. Die Folge: teilweise enorm lange Ladezeiten oder totaler Serverausfall. Viele Newsportale, darunter auch WDR.de, speckten ihr Internetangebot daraufhin ab und konzentrierten sich auf die aktuelle Berichterstattung über die Katastrophe. Selbst technisch orientierte Webseiten wie scripting.com informieren über die Anschläge vom 11. September. 3dchipnet.de, ein Anbieter von 3d-Videokarten, erklärt auf seiner Webseite: "With what is going on in the United States there will be no news today. This is by far the worst thing I have ever seen happen. We send out our prayers to those who have been caught in this disaster." ("Bei dem, was gerade in den Vereinigten Staaten vorgeht, wird es heute keine News mehr geben. Das ist so ziemlich das Schlimmste, was jemals passiert ist. Wir widmen unsere Gebete denen, die Opfer dieser Katastrophe wurden.") Auch der deutsche Musiksender Viva setzte sein Fernsehprogramm und auch sein Internetangebot "aufgrund der aktuellen Geschehnisse in den Vereinigten Staaten" kurzerhand aus.
Augenzeugenberichte hautnah
Trotz der starken Überlastung der Nachrichtendienste verbreiteten sich die Informationen zu den Anschlägen übers Netz blitzschnell. In Manhatten, wo unmittelbar nach der Katastrophe das gesamte Telefon- und Mobilfunknetz zusammengebrochen war, boomte die Einwahl ins Internet. Zahlreiche Anwohner nutzten das Medium, um weltweit über die aktuelle Lage vor Ort zu berichten. Die sogenannten "Weblogs", von Usern geführte Internet-Tagebücher, sind voll mit Links, Bildern und Augenzeugenberichten. Auch die Moderatorin des ARD-Kulturweltspiegels, Elke Buschheuer, hält die Besucher in ihrem Webtagebuch im Halbstundentakt auf dem Laufenden. Ihre New Yorker Wohnung liegt in einer Straße, die direkt auf das World Trade Center zuläuft.
Krisenmanagement online
Das Internet ist international und interaktiv. Und das ist bei Katastrophen solchen Ausmaßes ein enormer Vorteil. Das amerikanische FBI nutzt das Internet, um wichtige Hinweise aus der Bevölkerung zu erhalten. Zu diesem Zweck hat es eine eigene Webseite eingerichtet. Hier können jegliche Informationen hinterlassen werden, die möglicherweise mit den Anschlägen in New York und Washington in Zusammenhang stehen. Teilweise auf private Initiative hin entstanden im Laufe des gestrigen Tages Webseiten, auf denen nach Angehörigen gesucht werden kann. Umgekehrt können sich dort auch überlebende Anwohner Manhattans und Washingtons registrieren, um Freunde und Verwandte in aller Welt zu beruhigen. Zum Beispiel im "I'm okay Bulletin Board". Die "Los Angeles Times" hat eine Liste mit den Insassen der vier entführten Flugzeuge veröffentlicht. Die "Washington Post" bietet auf ihren Seiten eine Liste mit allen Firmen, die im Word Trade Center ansässig waren, an.
Perverse Geschäftemacherei
Am Dienstagabend bot das Internet-Auktionshaus eBay echte Bruchstücke des World Trade Centers an. In mehreren Auktionen sollten Glassplitter, Metallstücke und Videos der Katastrophe versteigert werden. Die Reaktionen der User blieben verhalten. Und bereits nach kurzer Zeit liefen erste Boykottaufrufe durch das Web. Inzwischen sind die Auktionen von der Webseite verschwunden. Stattdessen bekundet eBay auf seiner Startseite: "Dienstag war für viele in der eBay-Gemeinschaft ein schrecklicher Tag. Die Gedanken aller bei eBay sind bei den Opfern dieser Tragödie und ihren Angehörigen."