Die Schüler der Klasse K6-11 sind neu im Geschäft, trotzdem haben sie schon mehr erlebt als so mancher Veteran. "Bei mir hat neulich jemand Gold bestellt, anderthalb Kilo auf einmal", erzählt einer. "Zu mir kam letztens ein Kunde mit einer schwarzen Stofftasche, der wollte alles abheben und unter's Kopfkissen legen", erzählt eine andere.
Frontberichte von der Finanzmarktkrise, vorgetragen von denen, die jeden Tag dabei sind. Die 26 Schüler des Konrad-Klepping-Berufskollegs in Dortmund wollen Bankkaufleute werden. Ihre Ausbildung hat am 1. August begonnen, am Montag (13.10.2008) hatten sie ihren ersten Berufsschultag. Der ging für Formalia drauf, am zweiten Tag gab es dann nur noch ein Thema: die Krise.
Die Krise, ein "einmaliges Lehrstück"
Die kam für Florian Baur-Pantoulier nicht überraschend. Vor etwa zwei Jahren bemerkte der Berufsschullehrer die ersten Anzeichen, seit einem Jahr ist sie immer wieder Thema in seinem Unterricht. Er bezeichnet sie als "faszinierend" und "erschreckend" zugleich, nennt sie aber auch ein "einmaliges Lehrstück". Deshalb wirkt er eher interessiert als beunruhigt, als ihm die Auszubildenden von Panik und Chaos in ihren Banken berichten.
Eine Viertelstunde lang erzählen die Schüler Geschichten über verängstigte Kunden und gestresste Kollegen, dann fragt Baur-Pantoulier: "Wie ist diese Krise eigentlich entstanden?" Einer der Schüler meldet sich und fasst die bisherigen Ereignisse zusammen. Souverän erklärt er das fatale Zusammenspiel von Bonitätsschwächen und variablen Zinssätzen. Der Lehrer ist beeindruckt: "Ich sehe, Sie kennen sich aus." Als er die anderen Schüler fragt, ob sie etwas ergänzen wollen, melden sie sich - vielleicht etwas eingeschüchtert von der Eloquenz des Vorredners - zunächst nicht. Doch dann heben sich zögernd die ersten Hände und die Schüler stellen Vermutungen darüber an, was in den oberen Banketagen schief gelaufen ist. Zweimal fällt das Wort "Gier".
Zuversichtlich, dass sich die meisten berappeln
Baur-Pantoulier geht zur Tafel und legt ein Schaubild an. "Die aktuelle Finanzkrise" ist die Überschrift, davon abzweigend drei Unterpunkte: "Ursachen", "Folgen" und "Gegenmaßnahmen". Die Tafel füllt sich schnell, die meisten Schüler tragen etwas bei. Bald ist sie mit Begriffen wie "Sekundärhandel mit Kreditforderungen" und "Asset Backed Securities" übersät. Alle übertragen das Schaubild - häufig mehrfarbig - in ihre Hefte.
Zum Abschluss der Doppelstunde will der Lehrer von seinen Schülern wissen, ob man die aktuelle Krise mit der großen Depression in den 30er Jahren vergleichen könne. Die meisten bezweifeln das. Auch wenn eine Schülerin berichtet: "Alte Leute fragen manchmal: 'Gibt es jetzt wieder Krieg?'" Aber von einer derartigen Situation, so der Tenor, sei man weit entfernt. Baur-Pantoulier sieht das auch so: "Schon allein deshalb, weil es damals keine Zusammenarbeit zwischen den Regierungen gab. Damals hieß es: jeder gegen jeden."
Im übrigen, ergänzt der Lehrer, sei die derzeitige Situation zwar äußerst dramatisch. Aber er sei recht zuversichtlich, dass sich die meisten wieder berappeln würden. Und er weiß aus eigener Erfahrung, wovon er spricht. Als um die Jahrtausendwende die Internet-Blase platzte, gehörte auch er zu den Verlierern: "Damals habe ich kräftig Federn gelassen. Alle Lehrer hier. Manchmal nützen die Fachkenntnisse eben nichts."