Die Stadt Bochum will die Wassertemperatur in den Hallenbädern um ein Grad absenken, Dortmund verordnet seiner Stadtverwaltung 14 Tage Zwangsferien, und in Oberhausen soll man sogar darüber nachgedacht haben, eine Zwangsabgabe für Prostituierte einzuführen: Wenn in diesen Tagen die Stadt- und Gemeinderäte in NRW über ihre Haushalte für das kommende Jahr beraten, dürfte es kaum einen Sparvorschlag geben, der zu abwegig erscheint. Denn den Kommunen in NRW steht das Wasser bis zum Hals. Mit fast 16 Milliarden Euro stehen sie derzeit in der Kreide, und aktuellen Prognosen zufolge werden es aufgrund der Wirtschaftskrise in zwei Jahren schon an die 20 Milliarden Euro sein. Jetzt schlagen sie Alarm: Kämmerer und Oberbürgermeister aus fast 20 Städten von Bottrop bis Wesel treffen sich heute (18.12.09) mit NRW-Finanzminister Helmut Linssen (CDU) und Landtagspräsidentin Regina van Dinther (CDU) in Düsseldorf, um über Auswege aus der Schuldenfalle zu beraten.
Ruhrgebiet und Bergisches Land besonders betroffen
Es sind vor allem Kommunen aus dem Ruhrgebiet und dem Bergischen Land, die die Reise nach Düsseldorf antreten, weil ihren Haushalten die Überschuldung droht. Vom Strukturwandel in NRW besonders hart getroffen, haben sie in den vergangenen Jahren gigantische Schuldenberge aufgetürmt. Die Ruhrgebietsstadt Oberhausen beispielsweise plagen Schulden von 1,8 Milliarden Euro, Dortmund liegt ebenfalls nur noch knapp unter der Grenze von 2 Milliarden, in Essen sind es schon beinahe drei Milliarden Euro. "Die Kommunen geben schon seit 25 Jahren mehr aus, als sie einnehmen", erklärt Professor Martin Junkernheinrich von der TU Kaiserslautern. "Aber ab dem Jahr 2000 hat sich die Situation noch einmal dramatisch verschärft, die Schulden sind um 50 Prozent in die Höhe geschossen", so der Finanzexperte. Auslöser war damals die Krise am Neuen Markt und der darauffolgende wirtschaftliche Einbruch. Jetzt, rund ein Jahr nach Ausbruch der aktuellen Wirtschaftskrise, droht vielen der Kollaps.
Steuereinnahmen brechen ein, Sozialausgaben gehen hoch
Die Wirtschaftskrise belastet die kommunalen Haushalte gleich zweifach: Denn die meisten Städte und Gemeinden hängen nach wie vor am Tropf der Gewerbesteuern, die von den örtlichen Firmen gezahlt werden. Macht ein Unternehmen aber keinen Gewinn mehr, wird verkauft oder geht pleite, fallen auch die Steuern für die Kommune weg. Prognosen zufolge werden im kommenden Jahr die Gewerbesteuereinnahmen im Durchschnitt in NRW um ein Fünftel einbrechen. Gleichzeitig steigt - ebenfalls aufgrund der Wirtschaftskrise - die Zahl der Arbeitslosen und damit die Höhe der Sozialausgaben, an denen die Kommunen sich zum Beispiel über das Wohngeld für Langzeitarbeitslose beteiligen müssen. Einnahmen runter, Sozialausgaben rauf: Ein Dilemma, das den Kämmerern kaum noch einen Ausweg lässt.
Schuldenfalle schnappt zu
Dazu kommt, dass das Finanzsystem der Kommunen radikal umgebaut wurde: Sie müssen seit Januar dieses Jahres ähnlich wie ein Unternehmen eine Bilanz aufstellen, in der das Vermögen direkt den Schulden gegenübergestellt wird. Städte und Gemeinden listen seither akribisch auf, was sie besitzen, angefangen bei Grundstücken und Gebäuden über jedes einzelne Kunstwerk im Museum bis hin zu den Musikinstrumenten des Stadtorchesters. Alles wird auf Euro und Cent bewertet und gegen die Schulden aufgerechnet. Damit schnappt die Falle zu: Hat eine Stadt höhere Schulden als Vermögen, also kein eigenes Kapital mehr, tritt die sogenannte Überschuldung ein. "Das neue System macht erstmals sichtbar, ab wann eine Kommune überschuldet ist", erklärt der Wissenschaftler Junkernheinrich. "Im alten Finanzsystem dagegen konnte man sich immer wieder frisches Geld verschaffen, in dem man einfach mehr Kassenkredite aufgenommen hat." Das funktionierte wie ein Dispo-Kredit für die Städte. Im neuen Finanzsystem hilft das nicht mehr. Zudem greift ab dem Zeitpunkt der Überschuldung die Kommunalaufsicht verstärkt ein und nimmt jede Einnahme oder Ausgabe scharf unter die Lupe.
Forderung nach Entschuldungsfonds
Die Ersten hat es bereits in diesem Jahr erwischt. Im Regierungsbezirk Düsseldorf war es die Stadt Oberhausen, die als erste feststellte, dass sie kein Vermögen mehr hat. Duisburg folgte, Wuppertal und Remscheid sind akut gefährdet. Im Regierungsbezirk Arnsberg sieht es nicht viel besser aus, Vorreiter war hier die Stadt Hagen. "Und unser Kreis wird noch größer werden", prophezeit Hagens Kämmerer Christoph Gerbersmann. "Nach unserer jetzigen Prognose werden zehn weitere Kommunen bis 2014 in die Überschuldung rutschen", bestätigt Jörg Linden, Sprecher der Bezirksregierung Arnsberg.
Doch wie der Schuldenfalle entkommen? "Ein Ausweg könnte ein Entschuldungsfonds des Landes sein", sagt Finanzexperte Junkernheinrich. Aber dann, so erklärt er, müssten die Kommunen bei ihren Pflichtaufgaben - allen voran den Sozialleistungen - stärker entlastet werden. Denn: "Die Einnahmen der Kommunen werden mittelfristig nicht steigen."