RVR will Planungsfehler ausbügeln
Neuer Anlauf für Kraftwerk Datteln
Stand: 05.07.2013, 13:10 Uhr
Vor Gericht ist das neue Kohlekraftwerk von Eon in Datteln gescheitert. Am Freitag (05.07.2013) hat der Regionalverband Ruhr allerdings entschieden, das Projekt mit einem umstrittenen Sonderweg zu retten. So sollen die gravierenden Planungsfehler im Nachhinein behoben werden.
Worum ging es bei der Sitzung des Regionalverbands Ruhr?
SPD, CDU und FDP haben am Freitag (05.07.2013) im Ruhrparlament in Essen eine neue Initiative für das Kohlekraftwerk von Eon in Datteln (Kreis Recklinghausen) gestartet. Linkspartei und Grüne stimmten dagegen. Zwei sogenannte Zielabweichungsverfahren sollen das Milliarden-Projekt retten. Dies bedeutet, dass die Landesregierung auf Antrag der politischen Mehrheit im Regionalverband Ruhr (RVR) an zwei Punkten die Ziele der NRW-Landesplanung verändern soll, um die Inbetriebnahme des Kraftwerks doch noch zu ermöglichen. Das Land soll den Standort des Kraftwerksstandorts erlauben und genehmigen, dass in Datteln auch Importkohle verfeuert werden darf. Bisher ist nur heimische Steinkohle erlaubt, die allerdings nur noch bis 2018 gefördert wird. Beide Punkte sind hochumstritten. Die Befürworter des Projekts wollen mit dem neuen Verfahren nachträglich "heilen", was vor Gerichten zum Scheitern von Datteln geführt hatte.
Was sagen Gegner und Befürworter?
Der Umweltverband BUND wirft den Politikern von SPD, CDU und FDP im RVR vor, "doch noch zu retten und dafür geltendes Recht einseitig im Sinne des Energiekonzerns Eon zurechtzubiegen". Klimaschützer und Anwohner aus dem Raum Datteln haben deshalb am Freitag vor dem RVR-Gebäude in Essen demonstriert. "Stimmt die Landesregierung der Zielabweichung zu, wäre dies eine politische Ausnahmeerlaubnis für Datteln 4. Die Politik würde den Weg ebnen, das Kraftwerk trotz der rechtlich und klimapolitisch entgegenstehenden Gründe fertigzubauen", teilte der BUND mit. "Wir arbeiten auf allen Ebenen daran, dass Datteln 4 schnellstmöglich ans Netz gehen kann", heißt es hingegen auf der Website von Eon. Man sei "fest von der erfolgreichen Realisierung unseres Kraftwerks Datteln 4 überzeugt". Es sei ein Kraftwerk "mit Leuchtturmwirkung für den Strukturwandel und die Energiewende und hat eine besondere Bedeutung für die Versorgungssicherheit mit Bahnstrom und Fernwärme". Mit einer Leistung von 1.100 Megawatt und einem Nettowirkungsgrad von über 45 Prozent in Betrieb will der Energiekonzern mit dem Bau "insbesondere im Ruhrgebiet sehr alte Kraftwerke wie Datteln 1-3 und Shamrock (Herne)" ersetzen. Umweltschützer sehen in dem Kraftwerk hingegen einen "Klimakiller", der jedes Jahr über sechs Millionen Tonnen des Treibhausgases Kohlendioxid ausstoßen würde.
Was ist die Vorgeschichte?
Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte den bisherigen Bebauungsplan für das Kraftwerk 2009 wegen grober Mängel für unwirksam erklärt und das Projekt des Energiekonzerns Eon damit in Wanken gebracht. Die Richter bemängelten vor allem, dass der Meiler zu nahe an Wohnhäusern gebaut worden sei. Der Landesentwicklungsplan sehe als Standort für ein Großkraftwerk ein weiter von der Wohnbebauung entfernt liegendes Gebiet im Nordosten der Stadt vor, urteilte das OVG.
Zudem sei sowohl der Naturschutz als auch der Schutz der Bevölkerung bei einem Störfall nicht ausreichend beachtet worden. Der im Landesentwicklungsplan nicht vorgesehene Bauplatz liegt direkt am Dortmund-Ems-Kanal und an einer Bahnlinie, was den Transport der großen Kohlemengen für das Kraftwerk erleichtert. Ein Landwirt aus dem angrenzenden Waltrop hatte gegen den von der Stadt Datteln entwickelten Bebauungsplan geklagt. Auch der BUND prozessiert seit Jahren gegen das Kraftwerk.
Was sagt die Landesregierung?
Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) hatte sich für die Inbetriebnahme des umstrittenen Steinkohlekraftwerks ausgesprochen. Dem WDR-Magazin Westpol sagte er Anfang Juni: "Ich halte es für ganz wichtig, dass wir auch neue Kraftwerke ans Netz gehen lassen." Wenn in Datteln die Kraftwerke 1 bis 3 vom Netz genommen würden, dann sei eine Ersatzkapazität nötig. Bislang hatte Rot-Grün unter Verweis auf den Koalitionsvertrag argumentiert, dass die Landesregierung selbst keine neuen Kraftwerke genehmige. Vor rund zwei Wochen sagte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) im Landtag, im Falle eines Zielabweichungsverfahrens werde die Koalition darüber mit Sorgfalt entscheiden. Aktuell seien inhaltliche Aussagen dazu nicht möglich - und wären rechtlich auch bedenklich. Die FDP-Fraktion betonte in der Parlamentsdebatte, die Regierung müsse im Rahmen der Zielabweichungsverfahren Farbe bekennen und entscheiden, ob sie für oder gegen Datteln sei. Die CDU sagte, auf das Kraftwerk könne nicht verzichtet werden. Die Piraten sind gegen das Projekt.
Wie geht es weiter?
Im Vorfeld der erwarteten RVR-Entscheidung teilte die NRW-Staatskanzlei mit: "Wenn ein solcher Beschluss gefasst wird, wird die Landesplanungsbehörde in der Staatskanzlei im Anschluss den Antrag für ein Zielabweichungsverfahren prüfen." Die Entscheidung über den Antrag würde dann im Benehmen mit dem Wirtschaftsausschuss des Landtags erfolgen. "Die Kriterien für diese Prüfung finden sich in Paragraf 16 des Landesplanungsgesetzes. Danach kann von Zielen der Raumordnung in einem besonderen Verfahren im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt sind und die Abweichung unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar ist." Bei einem Ja der Staatskanzlei zum Zielabweichungsverfahren müsste der Wirtschaftsausschuss des Landtags zustimmen - und die Ressorts Umwelt und Wirtschaft müssten einverstanden sein. Bei Duins Wirtschaftsministerium dürfte eine Zustimmung Formsache sein. Doch Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) ist wohl nicht so leicht zu überzeugen. Das Thema birgt somit Konfliktstoff innerhalb der rot-grünen Koalition.
Falls die Landesregierung sich zu einer Zustimmung des RVR-Antrags durchringt, geht das Verfahren zurück zum Ruhrverband, der dann einen veränderten Regionalplan aufstellen müsste. Gleichzeitig muss die Stadt Datteln einen neuen Bebauungsplan aufstellen. Gegen den könnte es erneut Klagen geben. Falls die Staatskanzlei den RVR-Antrag gar nicht erst folgt, wäre Datteln 4 wohl endgültig erledigt. Für Eon wäre dies eine schwere Schlappe. 80 Prozent des Kraftwerks sind bereits fertiggestellt. Über eine Milliarde Euro wurde verbaut.