Still-Leben Ruhrschnellweg A40
Entspannter Stau
Stand: 18.07.2010, 16:07 Uhr
Die A40 bleibt sich beim "Still-Leben Ruhrschnellweg" treu und produziert das, was sie am besten kann: Stau. Doch dieser Stau ist prall gefüllt mit guter Laune, Spontaneität und erstaunlich viel Ruhe und Gelassenheit.
Von Sabine Tenta
"Rottel-di-rottel" - fünf Bollerwagen scheppern über die "Tischspur" der A40 in Essen-Frohnhausen. Um kurz nach 11 Uhr, dem offiziellen Startpunkt für die Aktion, ist am Sonntag (18.07.2010) vom Hackenporsche, also der rollenden Einkaufstasche, bis zur Sackkarre alles gefragt, was bequem Essen, Transparente und Sonnenschirme transportieren kann. Eher zögerlich füllt sich die Fahrbahn. Auf der "Mobilitätsspur" flitzen unterdessen Fahrräder lang, Radler grinsen in den Fahrtwind.
Zeitreise mit der Lichtburg
Den ersten kleinen Engpass gibt es vor einem Stand der Grundstücksverwaltung der Stadt Essen. Sie ist mit einem Kostümfundus aus den 50er Jahren angerückt. Larissa Teune schlüpft in ein zartgelbes Mäntelchen und damit in ein Stück Jugend: "Genau so was habe ich früher in Rot getragen." Ihr Mann Helmut zieht sich eine Lederjacke an, die nicht ganz passt: Nicht nur, dass sie etwas eng sitzt, "früher bin ich zwar Motorrad gefahren, aber da hatten wir Segeltuchjacken, Leder konnte sich doch keiner leisten." Die Szene wird fotografiert und den beiden Mülheimern später zugeschickt.
Satellit und Sonnencreme
Einige hundert Meter weiter sitzt eine junge Frau auf einer Bierbank, die Klampfe auf dem Schoß und singt "Satellite" im originalen Lena-Englisch: "I did it just the other däieh". Die Performance von Lisa Buschmann mit dem Grand-Prix-Hit kommt an. Der warme Applaus der Umstehenden erschreckt die 16-Jährige zunächst, lässt sie aber dann stolz lächeln. Lisas Schule, das Viktoria Gymnasium, hat einen Tisch gemietet, aber es habe sich niemand gemeldet, der etwas vorbereiten wollte. So wird er also spontan bespielt von Lehrern und Schülern wie Lisa, deren "Traumberuf Sängerin" ist. Wenn es mit dieser Karriere nicht klappe, werde sie halt Web-Designerin: "Ich bin ein PC-Freak". Während sie erzählt, "dass es schon cool ist, auf der A40 langzugehen", cremt sie sich gegen die Sonne ein. Das Tübchen weckt Begehrlichkeiten bei einem glatzköpfigen Passanten: "Darf ich mal wat vonne Schmiere haben, mir verbrennt dat Plätzchen." Klar darf er, denn hier hilft man sich gegenseitig.
Die A40 ist dicht
Gegen 12.30 Uhr wird es schlagartig voll und in Essen-Huttrop geht gar nichts mehr: nicht vor und nicht zurück, das einzige, was läuft, ist der Schweiß. Also öffnen die Besucher eigenmächtig ein Ventil auf die Mobilitätsspur: Immer mehr Passanten klettern über die Leitplanken und schieben sich durch den Grünstreifen, Kinderwägen werden rübergereicht. Flugs wird von Ordnern in gelben Warnwesten ein Abfluss der Fußgänger über die Fahrbahn Richtung Ausfahrt geregelt. Geduldig warten unterdessen die Radfahrer. Ohne Drängeln und Schubsen, ohne Murren und Meckern gehen die Menschen halt andere Wege und lassen sich die Sonntagslaune nicht verderben.
Tiefenentspannung im Gewühle
California-Feeling auf der A40
Während beide Spuren wegen des riesigen Andrangs für eine Weile komplett gesperrt werden, macht sich mitten im Gewühle bei Helke Borsutzky die Tiefenentspannung breit. Sie liegt auf dem Bauch, zwei Frauenhände kneten sanft ihre Schultern, spüren ihre Verspannungen auf und lösen sie. "Kalifornische Massage", das ist ein Angebot von Sigrid Haid-Bückmann, die zum "Unperfekthaus" gehört, dem Künstlerhaus in der Essener Innenstadt. Nach gut 20 Minuten Massage kommt Helke Borsutzky langsam wieder zu sich und schwärmt: "Das war superschön, total entspannend." Sie sei ja eigentlich "ein zappeliger Typ", aber hier habe sie wunderbar abschalten können. "Am liebsten würde ich liegenbleiben und nur noch schlafen." Das geht nicht, denn schon Montagfrüh (19.07.10) um fünf Uhr sollen dort, wo nun die nächsten Besucher massiert werden, wieder Autos und Lkw über den Ruhrschnellweg hetzen.