Ruhrgebiet vernetzt sich mit europäischen Nachbarn
Von Kulturhauptstädten lernen
Stand: 02.03.2011, 02:00 Uhr
Was verbindet das Ruhrgebiet mit der finnischen Hafenstadt Turku? Beide tragen den Titel Kulturhauptstadt Europas und tauschen sich eifrig darüber aus. Die Erfahrungen der Ruhr 2010 machen längst auch bei künftigen Titelträgern wie Marseille oder Košice die Runde.
Von Katja Goebel
Mehrfach hat das Ruhrgebiet seit 2009 Besuch aus Košice bekommen. Die slowakische Stadt wird 2013 den Titel Kulturhauptstadt Europas tragen. Und vom Ruhrgebiet wollten sich die Organisatoren in der Slowakei etwas abschauen. Auf dem Besichtigungsprogramm standen vor allem die hiesigen Kreativquartiere, denn in der zweitgrößten slowakischen Stadt soll eine ehemalige Kaserne der russischen Armee in einen Kreativstandort umgewandelt werden. Das riesige Militärgelände liegt dort mitten in der Stadt und war lange ein Angstraum, den die Menschen ablehnten. "Nun fragen sich die Leute zurecht, wie man einen solchen Ort zu einem kulturellen Zentrum machen kann, das von der Bevölkerung auch angenommen wird", fasst Bernd Fesel das Anliegen der slowakischen Kollegen zusammen.
Fesel ist stellvertretender Direktor des Europäischen Zentrums für Kreativwirtschaft, kurz "ecce" genannt. Dieses Institut der Ruhr 2010, das sich in Kürze am Dortmunder U ansiedeln wird, hat eine Mission: Kreative aus unterschiedlichsten Branchen sollen miteinander ins Gespräch kommen, ihnen soll Raum zum Leben und Arbeiten angeboten werden. Die Vernetzung geht dabei weit über die eigenen Landesgrenzen hinaus. Und so finden die hiesigen Kreativquartiere auch Nachahmer in anderen Ländern Europas. Zum Beispiel in der Slowakei.
Kaserne wird Kreativstandort
In Košice folgte man schließlich auch dem Rat, den riesigen Gebäudekomplex nicht erst komplett umzubauen und dann zu beziehen, sondern die Menschen schon in der Umbauphase neugierig zu machen - zum Beispiel mit Ausstellungen. Ein Konzept, das auf Zollverein in Essen ebenfalls Erfolg hatte. So kam es, dass unter anderem bereits Künstler aus dem Ruhrgebiet in dem unfertigen Kreativquartier in Košice zu sehen waren. "Manchmal", so Fesel, "stärkt erst das auswärtige Interesse den Stolz auf die eigenen Errungenschaften. Bei uns haben sich vor dem Kulturhauptstadtjahr auch viele gefragt, warum Menschen aus Schanghai Interesse am Ruhrgebiet haben sollten."
Festakt auf Finnisch
Während Košice in der Slowakei noch knapp zwei Jahre zum Planen bleiben, hat für das finnische Turku das Kulturhauptstadtjahr 2011 bereits begonnen. Und auch hier gab es im Vorfeld regen Austausch mit dem Ruhrgebiet. So waren die Finnen nicht nur interessiert an Sponseringfragen, Pressearbeit und Marketingkonzepten - auch den Ort der Essener Eröffnungfeier schauten sich die skandinavischen Besucher genauer an. "Ich habe den finnischen Kollegen damals die Kokerei gezeigt, denn auch Turku plante eine Open-Air-Veranstaltung zum Beginn ihres Kulturhauptstadtjahres", erzählt Susanne Skipiol, die im Ruhr 2010-Projektteam für den Bereich "Internationale Beziehungen" zuständig ist. Der finnische Festakt fand schließlich im Hafen von Turku statt. "Hier gab es keine richtige Bühne wie bei uns, sondern da wurden unter anderem riesige Krähne bespielt und die Chöre standen auf beleuchteten Booten."
Tipps für Turku
Turku tat übrigens gut daran, sich mit den Machern der Ruhr 2010 auch gleich noch über das Programmheft zum Festjahr zu unterhalten. "Wir haben bei unserem ersten Programmbuch den Fehler gemacht, viel zu abstrakte Begriffe zu verwenden", sagt Susanne Skipiol im Rückblick. Statt die einzelnen Programmschwerpunkte mit mehrdeutigen Titeln wie "Nachtgestalten", "Fernblicke" oder "Spielwiese" zu überschreiben, besserte man sich im zweiten Buch und gliederte alles in Genres, die jeder gleich verstand. Also "Theater", "Musik" oder "Feste". "Als wir im Juli 2010 dann erstmals das Programmheft von Turku sahen, ist uns dabei etwas Ähnliches aufgefallen, und wir konnten den Kollegen noch rechtzeitig Tipps geben."
120 Städte und ein Titel
Im Jahr 2013 reiht sich mit Marseille auch eine französische Stadt in die Garde der Europäischen Kulturhauptstädte ein. Das Besondere daran: Der Titel wurde ähnlich wie im Ruhrgebiet gleich auf eine ganze Region, nämlich die Provence ausgeweitet. Damit ist Marseille nicht nur Bannerträgerin für ganze 120 Städte, sie muss sich auch mit der Frage beschäftigen, wie man es schafft, möglichst viele Städte in Projekte einzubinden? Kein Wunder also, dass sich die Franzosen besonders für die Ruhr 2010-Spektakel wie "Sing - Day of Song", den Kulturkanal oder die "Local Heroes" interessierten, einem Projekt, bei dem jeweils eine von 53 Ruhrgebietsstädten für eine Woche im Fokus der Kulturhauptstadt stand.
Von Ruhrgebiet in die Provence
Doch auch das Ruhrgebiet hat von anderen Kulturhauptstädten gelernt. So schauten sich die Macher der Ruhr 2010 beispielsweise das vorbildliche Volunteers-Konzept beim englischen Liverpool ab, das zwei Jahre zuvor den Titel tragen durfte. Ohne die freiwilligen Helfer wäre das Jahreprogramm nicht zu stemmen gewesen.
Einer diese Ehrenamtlichen ist Francis Carr. Der gebürtige Schotte lebt seit 40 Jahren im Ruhrgebiet und war als Volunteer für die Ruhr 2010 unterwegs. Er lotste Besucher zum Stillleben A40, bewachte Schachtzeichen auf Zollverein, spielte Dolmetscher oder holte Ehrengäste vom Flughafen ab. "Ich helfe gern und außerdem trifft man so viele nette Leute", sagt der Ruheständler über seinen Einsatz im Kulturhauptstadtjahr. Und deshalb hat er auch lange noch nicht genug. 2013 will Francis Carr nach Marseille. "Als Volunteer oder mehr", sagt der ehemalige Exportleiter. Als freiwilliger Helfer beworben hat er sich bereits schriftlich. "Und zwar ganz oben, beim Managing Director der Kulturhauptstadt Marseille."