Chorsänger

Interview mit Sängerin und Gesangspädagogin Uta Feuerstein

Die Macht der Stimme

Stand: 05.06.2010, 23:59 Uhr

Eine Million Menschen sangen beim Day of Song auf Plätzen, Straßen und Konzertsälen. Singen macht glücklich und stärkt das Gemeinschaftsgefühl, sagt Gesangspädagogin Uta Feuerstein.

Eine gute Stimme ist nicht nur den Talentierten vorbehalten - davon ist Uta Feuerstein, selbst Sängerin, Sprachheil- und Gesangspädagogin in Köln überzeugt. Doch Stimmen produzieren nicht nur schöne Lieder, auch die Psyche drückt sich in der Stimme aus. So kann es einem aus Wut schon mal die Stimme verschlagen. Wer hingegen mit sich im Einklang ist, so Feuerstein, kann auch seine Stimme verbessern.

WDR.de: Liegt das Singen in der Natur des Menschen oder anders gefragt: Seit wann singt die Menschheit?

Uta Feuerstein: Letztlich ist Singen ja die Ursprache des Kehlkopfes. Ich vermute fast, dass das Singen schon vor dem Sprechen da war, weil man einfach mit Tönen gespielt, sich lautmalerisch verständigt hat, bis dann wirklich die Sprache entstanden ist. Deshalb spielt das Singen auch heute noch so eine wichtige Rolle.

WDR.de: Singen als Stärkung des Zusammenhalts, so wie man es beispielsweise beim Wolfsgeheul vermutet: Ist das auch auf das menschliche Singen in Gemeinschaft übertragbar?

Feuerstein: Ja, das Singen schafft ein starkes Gemeinschaftsgefühl, weil man zusammen musikalische Harmonien erlebt. Aber nicht nur deshalb ist das Singen interessant, auch Stimme und Psyche hängen stark miteinander zusammen. Man kann sich über die Stimme ausdrücken und befreien. Das ist sicherlich der Hauptgrund, warum sich viele Menschen zum Singen hingezogen fühlen.

WDR.de: Forscher haben längst herausgefunden, dass beim Singen Glückshormone ausgeschüttet werden. Was passiert sonst noch im Körper, wenn die Stimme zum Einsatz kommt?

Feuerstein: Die Stimme ist deshalb so wichtig, weil der Kehlkopf ein Schutzorgan für die Lunge ist. Der Kehlkopf muss sich verschließen, wenn man schluckt, damit man sich nicht verschluckt. Diese Enge spürt man aber auch, wenn man psychische Gefahr empfindet. Man merkt, dass sich der Kehlkopf verengt. Jeder kennt die Redewendung "Kloß im Hals" oder "Da schnürt mir was die Kehle zu". Viele Menschen versuchen diese Stressmomente, die sie in der Kehle haben, durch Singen los zu werden. Man kann daher über die Stimme gut herausfinden, wie man sich gerade fühlt. Also zum Beispiel, was hinter einer bestimmten Frequenz in der Stimme steckt, die man vielleicht gar nicht leiden mag. So bekommt man über das bewusste Hinhören auch einen Zugang zu sich selbst.

WDR.de: Sie schulen als Gesangspädagogin nicht nur Sänger, sondern auch Geschäftsleute in Sachen Stimme. Warum?

Feuerstein: Die Stimme ist davon abhängig, dass wir uns sicher und wohl fühlen, damit sie richtig gut schwingen kann. Dann wird die Stimme nicht nur voll, sondern auch tiefer und man kann die Macht der Stimme hören. Wenn jemand eine kräftige, sonore, charismatische Stimme hat, dann ist das eine volle, tiefe Stimme. Das streben natürlich viele an, die im Beruf jemanden überzeugen müssen oder Gehaltsverhandlungen führen wollen. Das kriegt man aber nicht hin, indem man mal eben versucht ein paar Töne tiefer zu sprechen. Das klappt dann gar nicht, wirkt angestrengt oder klingt aufgesetzt. Oft stecken einfach auch Unsicherheiten dahinter, an denen man arbeiten kann. Und dann kann man schauen, ob die Stimme darauf anspringt.

WDR.de: Kann denn eigentlich jeder singen - mit der richtigen Technik?

Feuerstein: Ich gehe davon aus, dass jeder singen lernen kann. Ich kenne viele Beispiele von Menschen, die vorher eine Stimmstörung oder nur zwei, drei Tonhöhen Umfang hatten und am Schluss erstmals im Chor mitsingen konnten. Ich halte nicht viel von bloßem Talentdenken, abgesehen davon, dass man vielleicht als Kind gelernt hat, Intervalle richtig zu hören. Aber eine richtig gute Stimme kann jeder erlernen.

WDR.de: Viele Menschen trauen sich schlicht nicht zu singen. Hat Singen also auch etwas mit Mut zu tun?

Feuerstein: Ja, es hat viel mit Mut zu tun, weil man beim Singen sehr stark seine eigenen Empfindungen preis gibt und Gefühle zeigt. Wir leben aber auch in einer Gesellschaft, in der Singen "uncool" geworden ist. Ich vermute, dass das sehr viel mit Nazi-Deutschland zu tun hat. Hitler hat damals die Volkslieder stark für sich vereinnahmt und anschließend war alles, was mit Volksliedern zu tun hatte, verpönt. Man singt ja auch nicht mehr deutsch, sondern englisch, wird durch Radio und CD ständig berieselt und alles klingt hoch perfekt. Das alltägliche Singen, um sich die Zeit zu vertreiben, gibt es gar nicht mehr so.

WDR.de: Was würden Sie Menschen sagen, die sich mit dem Singen eher zurückhalten?

Feuerstein: Singen macht unglaublichen Spaß und ich kann es jedem nur empfehlen - auch denjenigen, die meinen, sie hätten nicht das Zeug dazu. Trauen Sie sich an die Stimme ran, Sie verlieren so viel, wenn Sie es nicht tun!

Das Interview führte Katja Goebel.