Kurz vor sechs Uhr geht gar nichts mehr am Kölner Hauptbahnhof. Überall stehen Koffer und Taschen, große und kleine, silberne und schwarze. Wer kann, stellt sein Gepäck beiseite, greift reflexartig in die Tasche, zückt sein Handy und tippte wild diverse Nummern ein. "Papa, ich sage es dir doch, hier geht gar nichts mehr", seufzt ein junges Mädchen in den Hörer. Seine Augen sind längst mit Tränen gefüllt und die gebückte Körpersprache sagt eigentlich nur eines: "Wie komme ich bloß hier weg?" Ihr Schicksal teilen viele Menschen am Donnerstagabend (18.01.2007) im Kölner Hauptbahnhof. Die letzten Züge rollten kurz vor sechs Uhr auf Gleis vier und fünf ein und dann ging gar nichts mehr. Nicht vorwärts und nicht rückwärts.
In Frankfurt wartet der Flieger nach Australien
"Dass so etwas ausgerechnet heute passieren muss", sagt Manfred Tschirner aus Remscheid und schüttelt den Kopf. Fassungslos steht er mit seiner Frau und seinen Freunden vor der großen Anzeigetafel. Kurz vor Mitternacht wollten sie eigentlich beschwingt in Frankfurt im Flieger sitzen. "Drei Wochen Urlaub in Australien", erzählt Tschirner und der Gedanke an Sommer, Sonne, Strand und Meer zaubert ihm wieder ein Lächeln ins Gesicht. Keine noch so starke Windböe kann der Remscheider Reisegruppe etwas anhaben. Während die Damen sich auf den Schock erst einmal ein Gläschen Sekt gönnen, schreiten die Männer zur Tat. Ein Großraum-Taxi muss her. "Aber schnell", sagt Manfred Tschirner und taucht ab im Gewusel vor dem Servicepoint.
Schwerpunkt
Mitfahrgelegenheit nach Wuppertal gesucht
Egal wie, aber Hauptsache es fährt, ist das Motto vieler gestrandeter Reisender. Die Mitarbeiter der Mietwagenfirma können sich vor Nachfragen gar nicht retten. Geduldig wird hier angestanden und die Schlange reicht mittlerweile bis zum Nachbarladen. Draußen am Taxistand fallen derweil ein paar derbe Worte. "Hey, wir waren zuerst hier. Sie müssen sich hinten in der Schlange anstellen", schimpft eine Frau. Den Herrn mit der tief gezogenen Mütze im Gesicht kümmert das nur wenig. Er schleudert den Koffer auf die Rückbank, springt mit einem Satz hinterher und zieht die Tür hinter sich zu. Dann verschwindet er im Font des beigen Taxis im Dunkel der Nacht. "Wuppertal?" ruft ein älterer Herr mit grauem Haar und sucht nach Mitfahrern. "Troisdorf, Herford und Essen", schallte es in Abständen aus der Reihe zurück. "Das ist eine Katastrophe hier", grummelt er und kehrt zurück in den Hauptbahnhof.
Andere ziehen sich lieber gleich in einen der vier bereitgestellten Intercitys zurück. "Man muss das beste aus der Situation machen. Für uns wird gesorgt", sagt ein Schweizer und beißt herzhaft in ein Stück Pizza, während sich sein Sitznachbar hinter der Zeitung vergräbt. Der Aufenthaltsraum des Bahnpersonals wurde ebenfalls kurzerhand zum Schlafsaal umgestaltet. Die Nacht wird lange werden. Aber nicht nur für die Reisenden. Unermüdlich schenken die Helfer Kaffee aus, reichen Wasser und Orangensaft und stecken dem ein oder anderen als Trostpflaster eine kleine Tüte Gummibärchen zu.
Bangkok - Amsterdam - Frankfurt und dann: Endstation Köln
"Ist es in Deutschland nicht üblich, in solch einer Situation die Dinge zu organisieren", fragt ein erstaunter Engländer. "Nicht in dieser Situation", gibt ein Polizist freundlich in Englisch Auskunft und lächelt verlegen. Haltung bewahren, heißt es für die Angestellten der Polizei und der Bahn. Wer nur in kleinster Weise so aussieht, als könne er über wichtige Informationen verfügen, wird von einem Schwarm Reisender umlagert wie die Königin im Bienenstock. "Wir haben keine Ahnung, was wir jetzt machen sollen", sagt Yvonna Freiberg mit holländischem Akzent. Vor gut 36 Stunden stieg sie in Thailand mit ihren Freunden ins Flugzeug. "Wir waren eigentlich schon über Amsterdam, dann mussten wir wegen des schlechten Wetters umkehren", erzählt die braungebrannte Holländerin. Bangkok - Amsterdam - Frankfurt - jetzt ist erst einmal Endstation in Köln. Wo sie die Nacht verbringen werden, wissen sie nicht. Hotelzimmer sind angesichts der Möbelmesse ziemlich rar. "Wir werden sehen", entgegnet Yvonna, greift reflexartig in die Tasche und sagt: "Ich muss jetzt erst einmal zu Hause anrufen."