"Ich bin maßlos traurig"
Abschied von den Loveparade-Opfern
Stand: 31.07.2010, 15:45 Uhr
Weit weniger Menschen als erwartet haben in Duisburg am Gedenkgottesdienst für die Opfer der Loveparade teilgenommen. Viele Plätze bei der Übertragung in das MSV-Stadion blieben leer. Die Salvatorkirche war nur für Trauergäste mit Zutrittskarte zu erreichen.
Von Katrin Schlusen und Robert Franz
Für Annika Müller hat der Samstagmorgen (31.07.10) früh begonnen. Um vier Uhr ist die junge Frau aus Rheinhausen aufgestanden. Sie hatte gehört, dass es noch wenige Karten für die Trauerfeier in der Salvatorkirche gab. Eine davon hat sie bekommen. "Es ist mir sehr wichtig, bei dem Gottesdienst dabei zu sein." Vieles spielt sich an diesem Morgen genau so ab wie vor einer Woche, als sich die Duisburgerin morgens auf den Weg zur Loveparade vorbereitete. Die Erinnerungen an die Menschenmassen haben sich tief eingebrannt. Ein wenig Trost verspricht sie sich vom Gottesdienst.
Auf den fast menschenleeren Straßen der Innenstadt ist auch Tatjana Michelett unterwegs. Auch sie hat eine der wenigen Karten für die Trauerfeier bekommen. Als sie erzählt, wie sie sich vor einer Woche Sorgen um ihre 18-jährige Tochter gemacht hat, schießen ihr die Tränen in die Augen: "Es ist unsere Pflicht, hier und heute den Opfern zu gedenken."
Beklemmende Stimmung in der Stadt
In der Nacht zu Samstag hatte die Polizei das Gelände um die Salvatorkirche weiträumig abgesperrt. Wer keine Zugangsberechtigung hat, kommt nicht näher als 100 Meter an den Ort des Geschehens heran. Die Duisburger haben sich offenbar darauf eingestellt. Nur wenige Bürger verirren sich in die Fußgängerzone. Viele von ihnen erledigen ihre Wochenendeinkäufe. "Ich hatte gedacht, dass hier sehr viel mehr los ist", sagt eine Duisburgerin, die gerade ihre Tüten auf dem Fahrrad verstaut. Die Stimmung in der Stadt wirkt beklemmend: "Es ist stiller als an anderen Tagen", fügt die Frau an.
Prozession zur Kirche
Vor der Kirche treffen immer mehr prominente Trauergäste ein. Nur wenige steigen direkt vor der Kirche aus wie Außenminister Guido Westerwelle. Bundeskanzlerin Angela Merkel nutzt einen uneinsehbaren Nebeneingang, ebenso Bundespräsident Christian Wulff. Die ruhige Stimmung am Eingang wird nur kurz unterbrochen, als einer der Trauergäste seinen Arm zum Victory-Zeichen ausstreckt. Schnell eilen Polizisten zu ihm und machen ihm deutlich, dass sie keine Auffälligkeiten wünschen. Minuten vor Beginn des Gottesdienstes erreicht schließlich eine Kerze die Kirche, die Unfallseelsorger in einer Prozession vom Unglücksort hergetragen haben.
Trauer und auch Wut
Während des Gottesdienstes versammeln sich mehrere hundert Schaulustige vor den Absperrungen der Polizei. Viele sind gekommen, um einen Blick auf die angereiste Prominenz zu werfen. Einige suchen die Möglichkeit, mit einem der Notfallseelsorger ins Gespräch zu kommen. Zum Beispiel mit Christoph Kückes. Der Pfarrer aus Viersen spürt das Bedürfnis der Menschen, mit ihm zu reden. Neben der Trauer sei vor allem die Wut über die Tragödie noch sehr präsent, hat Kückes beobachtet, der an diesem Tag nicht über die Frage der Schuld sprechen möchte: "Ich bin hier in der Rolle des Zuhörers."
Frank und Manuela Dechan aus Duisburg sind sehr enttäuscht über die geringe Zahl von Duisburgern, die an diesem Tag Anteil nehmen: "Wir sind aus dem MSV-Stadion hierher gekommen", berichten sie. Dort seien weit weniger Menschen gewesen, als sie gedacht hatten.
"Gekommen, um damit abzuschließen"
Im MSV-Stadion ist es bei weitem nicht so voll, wie die Polizei erwartet hat. Ungefähr 2.600 Menschen sind gekommen, um gemeinsam zu trauern. Auf dem Rasen wurde ein großes schwarzes Kreuz aufgebaut, 21 gelbe Kerzen sind auf dem Kreuz befestigt. Viele der Anwesenden waren am vergangenen Samstag (24.07.10) selbst Teilnehmer der Loveparade. Und der Schock sitzt noch immer tief. "Wir sind um 15 Uhr gegangen", sagt Marko Schierhofen aus Bochum. "Aber viele junge Leute sind da erst gekommen." Ähnlich geht es Bellatrix Röhrich aus Kamp-Lintfort: "Ich war mitten auf dem Gelände, wollte eigentlich gehen, aber meine Freunde haben mich aufgehalten." Während sie erzählt, ringt sie um Fassung: "Auf dem Rückweg habe ich dann gesehen, wie die Rettungskräfte versucht haben, Verletzte wieder zu beleben." Seitdem habe sie immer wieder Albträume. "Ich bin heute gekommen, um damit abzuschließen", sagt sie.
21 Kerzen entzündet
Im Stadion verfolgen die Besucher den Gottesdienst über die großen Leinwände. Viele weinen stumme Tränen. Schließlich werden auch die gelben Kerzen im Gedenken der 21 Todesopfer entzündet. Detlef Strobe aus Mönchengladbach hat eine Rose und ein selbst gemachtes Plakat mitgebracht. Auch er war am vergangenen Samstag mit dabei. "Ich habe seit einer Woche das Haus nicht verlassen", berichtet er. "Ich bin maßlos traurig." Zum Gebet stehen alle Menschen im Stadion auf. "Mich hat das sehr berührt", berichtet Marko Schierhofen später. "Mit vielen Menschen zusammen zu sitzen, die sich auch so fühlen - das ist sehr hilfreich." So werde man nicht allein gelassen, sagt der Bochumer. Zusammen mit seiner Freundin will er nachmittags noch am Trauermarsch teilnehmen.
Bewegende Worte von Hannelore Kraft
An der Salvatorkirche macht sich Annika Müller auf den Weg nach Hause. Der Trauergottesdienst hat sie mehr mitgenommen, als sie zunächst gedacht hatte. Dennoch bereut sie es nicht, gekommen zu sein: "Der Gottesdienst hat mir sehr viel Trost gegeben." Vor allem die Worte von NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft nach der Trauerfeier haben die Duisburgerin sehr bewegt. "Kraft ist sehr gut auf die Gefühle der Angehörigen eingegangen", meint Annika Müller. Die Aufarbeitung dessen, was sie innerhalb einer Woche in Duisburg erleben musste, hat gerade erst begonnen.