Stilles Gedenken im Tunnel
Tausende ehren die Opfer am Loveparade-Gelände
Stand: 28.07.2010, 18:43 Uhr
Auch Tage nach der Loveparade-Katastrophe ist Duisburg noch weit von der Normalität entfernt. Immer noch strömen Tausende zur Unglücksstelle und trauern gemeinsam um die inzwischen 21 Opfer. Am Mittwochabend (28.07.10) zogen Fußballfans in einem Trauerzug durch die Tunnel.
Von Andreas Poulakos
Die Straßenkehrer haben ganze Arbeit geleistet. Im langen Tunnel, der zum alten Duisburger Güterbahnhof führt, erinnert nichts mehr daran, dass er vor wenigen Tagen der einzige Zugang zur größten Elektroparty der Welt war. Hier ist Ruhe eingekehrt. Alle paar Meter leuchten kleine Grablichter unterm Neonlicht. Manchmal haben die Besucher auch handgemalte Schilder aufgestellt, auf denen sie ihrer Trauer Ausdruck verleihen. Manchmal auch ihren Zorn auf die Stadt, den Oberbürgermeister, den Veranstalter. "Ein Menschenleben ist wichtiger als 'Einfach gut aussehen'" hat jemand auf eine Plakatwand gekritzelt: Gemeint ist Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller, der mit diesem Slogan für seine Fitness-Kette wirbt. Ein paar Schritte weiter hängt ein Infoblatt der Loveparade-Veranstalter. Zu sehen ist eine schematische Darstellung der Zugangswege, die am Samstagnachmittag zum gefährlichen Nadelöhr und zum Verhängnis für 21 junge Menschen werden sollten.
Schlange vor dem Kondolenzbuch
Hunderte Menschen sind auch am Mittwoch (28.07.10) wieder gekommen. Sie durchqueren die Tunnel, bleiben an der Rampe zum Festivalgelände stehen, legen Blumen und Kerzen nieder. Keiner erhebt die Stimme. Neugierige, die nur wegen eines billigen Kicks zum Unglücksort gekommen sind, sucht man hier vergeblich. Niemand fordert lautstark, die Verantwortlichen zu bestrafen. Es fließen viele Tränen. In den Gesichter steht ehrliche Betroffenheit.
Am Abend füllt sich der Platz immer mehr. Rund 2.000 Menschen trauern gemeinsam um die Toten. Hinzu kommen 1.000 Fans des MSV Duisburg und des Vfl Bochum, die geschlossen an einem Trauerzug durch die Tunnel teilnehmen. Schweigend zieht die Demonstration vorbei. Die Fans tragen die Flaggen von China, Italien, Deutschland und anderen Nationen - den Herkunftsländern der Opfer. Der Zug endet am Stadion, wo die beiden Vereine ein Testspiel austragen. Gewöhnlich wäre ein Aufeinandertreffen der Lokalrivalen Anlass für ein lautstarkes Kräftemessen. Aber im Moment ist alles anders.
Der Strom ebbt nicht ab
Schweigen statt Fangesänge
Vor dem Kondolenzbuch, das eine Bürgerinitiative vor einigen Tagen aufgestellt hat, stehen die Menschen Schlange. "Mir tut das alles so Leid", sagt Simone Hofmann aus Duisburg, während sie darauf wartet, einige Worte der Trauer in das Buch zu schreiben. "Vielleicht hilft das, die ganze Sache endlich aus dem Kopf zu bekommen", sagt sie. Und wenn nicht? "Dann muss ich da durch. Müssen wir doch alle", sagt sie und wendet sich ab. Eigentlich sollte das Kondolenzbuch längst im Rathaus sein. So war es zumindest geplant. "Die Leute werden einfach nicht weniger", erklärt eine der Helferinnen, die an der Mahnwache im Tunnel Stellung halten. "Solange die Leute kommen, bleibt das Buch hier."
Seelsorger laden zum Gespräch
Richard Bannert hat seinen Arbeitsplatz vor einigen Tagen in den Tunnel verlagert. Der Koordinator der Notfallseelsorge Duisburg wartet auf Menschen, die Hilfe brauchen. Viele Betroffene, die hier am Samstag stundenlang in unmenschlichen Verhältnissen ausharren mussten, kehren noch einmal zurück, berichtet er. "Einigen kann das bestimmt helfen, das Erlebte zu verarbeiten. Bestimmt nicht allen." Aber auch Unbeteiligte, die das Ganze nur in den Medien verfolgt haben, wollen darüber reden. Für sie hat die Seelsorge einen Container aufgestellt, der ein ungestörtes Gespräch ermöglicht. Anders als Bannert, auf dessen Jacke groß das Wort "Seelsorger" geschrieben steht, ist Schwester Hildegard in Zivil unterwegs. Die Ordensfrau aus dem Bistum Essen hat den Ornat für einige Tage abgelegt, mischt sich unerkannt unter die Besucher. "Wenn jemand so aussieht, als könnte er ein Gespräch brauchen, gehe ich auf ihn zu", sagt die freundliche Franziskanerin, die wegen der Nachricht von dem Unglück spontan ihre Exerzitien abgebrochen hat und nach Duisburg gereist ist.
"Schade. Techno war meine Musik"
Sandra Bürger und Sven Ziehn
Ein junges Paar hat sich etwas abseits am Tunnelrand niedergelassen, schmiegt sich eng aneinander und betrachtet die Szenerie. Sandra Bürger und Sven Ziehn aus Mönchengladbach sind an den Ort zurückgekehrt, an dem sie Todesängste ausgestanden haben. Obwohl sie in der Menschenmenge in der Nähe der Rampentreppe gefangen waren, wo später die meisten Todesopfer gefunden wurden, sind sie mit einigen blauen Flecken davon gekommen. Die gelernte Krankenschwester war auch nach dem Abflauen der Panik geblieben und hatte sich um Verletzte gekümmert. Detailliert berichten sie von Chaos und furchtbarer Angst - einem kollektiven Alptraum.
Ihre Erlebnisse unterscheiden sich kaum von denen vieler anderer Augenzeugen, die seit Tagen in den Zeitungen zu lesen sind. Das lässt das Gehörte allerdings nur noch beängstigender erscheinen. Erst Zuhause kam für sie und ihren Freund der Zusammenbruch, sagt sie. "Alltag ging nicht", fügt Sven hinzu. "Wir sind beide erst einmal eine Woche krank geschrieben." Den Beschluss, nach Duisburg zurückzukehren, haben sie heute nach einem gemeinsamen Termin bei einer Traumatherapeutin gefällt. "Vielleicht bringt es was", meint Sandra. Noch scheint sie nicht wirklich daran zu glauben. Auch ihr Freund rechnet nicht damit, alles bald vergessen zu können. "Schade. Techno war immer meine Musik. Ich weiß nicht, wann ich die wieder hören kann."