Duisburgs Oberbürgermeister im Porträt
Aufstieg und Fall des Adolf Sauerland
Stand: 12.02.2012, 19:54 Uhr
Abwahl oder Rücktritt? Diese Frage ist nun beantwortet. OB Sauerland wurde abgewählt. Die Frage nach seiner Zukunft hat nicht nur Fragen nach Schuld und Verantwortung aufgeworfen.
Von Nina Magoley
Der Druck auf Adolf Sauerland war von Tag zu Tag gestiegen. Selbst Parteifreunde hatten sich inzwischen von dem CDU-Politiker distanziert. Gut eine Woche nach der Massenpanik auf der Loveparade, bei der 21 Menschen starben, meldete sich gar der Bundespräsident zu Wort: "Unabhängig von konkreter persönlicher Schuld gibt es auch eine politische Verantwortung" mahnte Christian Wulff an die Adresse des Duisburger Oberbürgermeisters. Der war zu diesem Zeitpunkt bereits seit Tagen abgetaucht, unter Polizeischutz, mit Morddrohungen konfrontiert. Einen Tag zuvor hatte ihn das Online-Magazin "Der Westen" noch mit markigen Sprüchen zitiert: Gerüchte über seinen Rücktritt könne man "in die Tonne kloppen", ließ er wissen.
Die große Frage: Was ging in ihm vor?
Groß war inzwischen auch das Rätselraten darüber, was in dem Mann wohl vorging, warum er sich so verzweifelt an sein Amt klammerte. Es sei die Angst um seine Altersversorgung, so die Vermutung, die bei einem freiwilligen Rückzug geringer ausfallen würde. Hielte er durch bis zu seiner Abwahl, dann würde er zumindest 70 Prozent seines OB-Gehalts für fünf weitere Jahre beziehen können. Vielleicht fürchte er auch, so eine andere Vermutung, mit dem Rücktritt ein Schuldeingeständnis zu machen. Die Schuld für die 21 Toten und über 500 Verletzten von der Loveparade wollte und will bis jetzt niemand übernehmen. In seiner Erklärung vom 2. August 2010 stellte Sauerland klar, dass für ihn persönliche und politische Verantwortung zusammen hängen. Um Abläufe und Verantwortlichkeiten bei der Loveparade-Katastrophe zu klären, regte er einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss an.
Große Pläne für Duisburg
Dabei war Adolf Sauerland bis zum schicksalsträchtigen 24. Juli 2010, dem Tag der Loveparade, ein außerordentlich beliebter Mann in Duisburg gewesen. Geboren und zu Hause in Duisburg, galt der Graumelierte als Kumpeltyp, als Schulterklopfer, der schonmal mit seinem Motorroller durch die Stadt kurvt oder zum Frühstück im Seniorenheim verabredet ist. Die Loveparade sollte sein großer Coup werden, ein Glanzlicht seiner Karriere, die 2004 beginnt: Sauerland hängt sein Amt als Berufsschullehrer an den Nagel und wird zum ersten CDU-Oberbürgermeister Duisburgs gewählt - nach 60 Jahren SPD-Herrschaft. Und er hat Pläne für die Stadt der leeren Kassen: Als erstes nimmt er das brachliegende Casino-Projekt "City Palais" in Angriff - Eröffnung 2007. Ein neues Einkaufszentrum wird 2008 fertig, den Londoner Stararchitekten Norman Foster lässt Sauerland einen Masterplan für die Stadt machen - Foster bescheinigt Duisburg "großes Potenzial".
Unter Sauerlands Regie läuft der bereits begonnene Ausbau des Innenhafens zum Kultur- und Geschäftszentrum auf Hochtouren weiter. Es gelingt ihm, die Firma Lego mit einem Besucherzentrum in den Hafen zu holen, der japanische Elektrohersteller Hitachi eröffnet dort in einem futuristisch aussehenden Neubau seine Zentrale. Auf das Konto des OB geht auch das "Wunder von Marxloh": eine neue, große Moschee, die in bisher beispielloser Harmonie zwischen islamischer Gemeinde und der Stadt entsteht und bundesweit als gelungenes Integrationsprojekt gelobt wird. Noch im April 2010 begeht Sauerland feierlich den ersten Spatenstich für das neue NRW-Landesarchiv, das das größte Archivgebäude Deutschlands werden soll.
Sauerland will die Party, um jeden Preis
Mit der Loveparade schließlich das größte Technofestival der Welt nach Duisburg zu holen, scheint ein genialer Streich. Bochum hat bereits abgesagt - wegen Sicherheitsbedenken - da scheint Duisburg als Austragungsort nichts mehr im Weg zu stehen. Panikforscher und Polizei äußern zwar Zweifel daran, ob es hier wirklich einen geeigneten Ort für eine Million Besucher gibt - doch Sauerland will davon nichts wissen. "Wenn kritisch nachgefragt wurde", so wird SPD-Ratsfrau Elke Patz später in die WDR-Kamera sagen, "hat er durch ironische Bemerkungen versucht, den Fragenden ins Lächerliche zu ziehen, um vom eigentlichen Thema abzulenken". Sauerland will die Party, scheinbar um jeden Preis. "Sonst wäre die Loveparade endgültig gestorben gewesen für das Ruhrgebiet", sagt er noch am Morgen des 24. Juli. Doch die "größte Party der Welt", die die Loveparade werden sollte, endet in einer Tragödie mit 21 Toten.
Angst vor einem Schuldeingeständnis?
Am nächsten Morgen beginnt die Suche nach den Schuldigen. Eine desaströse Pressekonferenz, auf der Polizei, der Veranstalter und der Oberbürgermeister tumb allen Fragen ausweichen, am Nachmittag ein Besuch an der Unglücksstelle - das ist vorerst der letzte öffentliche Auftritt Sauerlands vor den Fernsehkameras. In den folgenden Tagen weisen sich Polizei, Veranstalter und die Stadtverwaltung gegenseitig die Schuld zu. Der Veranstalter soll Sicherheitsabsprachen nicht eingehalten haben, die Polizei nicht schnell genug eingegriffen haben - und die Stadt? Oberbürgermeister Sauerland stolpert nun von einem Fehler zum nächsten. Er sagt, er wolle sich "zum Schutz seiner Mitarbeiter" nicht äußern. Keine Beleidsbekundung, keine Auskünfte. Hat er Angst vor einem Schuldeingeständnis? Der 55-Jährige taucht ab. Das Magazin "Der Spiegel" meldet, Sauerland habe gewusst, dass das Gelände nur für 250.000 Menschen zugelassen und der Veranstalter von bestimmten Vorschriften für Fluchtwege befreit war.
Parteikollegen distanzieren sich
Der Druck auf Sauerland nimmt zu. Die Duisburger Fraktion der Linken stellt einen Antrag zur Abwahl des Oberbürgermeisters, dem sich die FDP-Fraktion anschließt. SPD-Ratmitglieder fordern ebenfalls den Rücktritt. Auch NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft rät ihm indirekt dazu. Sauerland überrascht in der "Bild"-Zeitung mit der ersten Reaktion seit Tagen: Er habe keine Genehmigung für die Techno-Parade unterschrieben, das sei "gar nicht der Job des Oberbürgermeisters". Eine persönliche Verantwortung für das Unglück lehnt er rundheraus ab, einen Rücktritt ebenso. Fünf Tage nach dem Unglück fordert NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) den OB zum Rücktritt auf. Provoziert von dessen Schweigen demonstrieren vor dem Duisburger Rathaus wütende Menschen gegen die Stadtverwaltung. "Sauerland weg", rufen sie, einige tragen gebastelte Galgen aus Holz. Nun distanziert sich auch Parteikollege Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses, von Sauerland: "Als Politiker hafte ich auch politisch für mögliche Fehler meiner Mitarbeiter."
Nach Morddrohungen unter Polizeischutz
In einem Interview im Nachrichtensender N24 erklärt Sauerland am 30. Juli, er wolle so lange im Amt bleiben, bis die Verantwortlichkeit für das Unglück geklärt ist. Es tue ihm "unendlich leid", dass "Menschen zu Schaden gekommen" seien. Auch der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU Fraktion im Bund, Hans Peter Uhl, fordert jetzt Sauerlands Rücktritt. Der steht inzwischen nach Morddrohungen unter Polizeischutz. Die Tür des Sitzungssaals im Duisburger Rathaus lässt er von innen abschließen.
Zur Unperson geworden
Bei der offiziellen Trauerfeier am 31. Juli fehlt Sauerland. "Aus Respekt" vor den Angehörigen bleibe er der Zeremonie, zu der auch Bundeskanzlerin Angela Merkel angereist ist, fern. Weder er noch sonst jemand aus der Stadtverwaltung hat sich bisher bei den Angehörigen der Toten gemeldet. Der ehemals so beliebte Politiker ist zur Unperson in seiner eigenen Stadt geworden.