"In Duisburg wurde Demokratie gelebt"
Reaktionen auf Sauerland-Abwahl
Stand: 13.02.2012, 17:00 Uhr
Adolf Sauerland ist weg, seine Kritiker zeigen sich erleichert. Grüne, Linke und Piraten schmieden bereits Pläne für einen weiteren Ausbau der direkten Demokratie. Und im Netz wird kontrovers diskutiert. Reaktionen zur Abwahl des Duisburger Oberbürgermeisters.
Von Sven Gantzkow
Adolf Sauerland reagierte am Sonntagabend (12.02.2012) verwundert auf seine Abwahl - was wiederum seine Kritiker wundert. Thomas Steegmann, Sprecher der Initiative "Neuanfang für Duisburg" zeigte sich am Montag (13.02.2012) im ARD-Morgenmagazin erstaunt: "Unsere Initiative hat in den vergangenen Monaten bereits den Eindruck gehabt, dass der Mann unter Realitätsverlust leidet."
Michael Groschek, Generalsekretär der NRW-SPD, bedauerte in einer ersten Stellungnahme nach der Abwahl, dass "Adolf Sauerland selbst den Zeitpunkt verpasst hat, um persönliche Konsequenzen zu ziehen". Er hob gleichzeitig das demokratische Verfahren seiner Abwahl hervor und freute sich: "Diese eindeutige Entscheidung bringt nun die Chance auf einen echten Neuanfang für Duisburg und die Menschen in dieser Stadt."
Auch aus den Reihen der Liberalen kamen deutliche Worte: Der Duisburger Landtagsabgeordnete der FDP, Holger Ellerbrock, bescheinigte Adolf Sauerland einen "völlig unzureichenden Umgang mit der Loveparade-Katastrophe". Der OB habe "bis zum gestrigen Tag versucht, sich dieser Verantwortung politisch und moralisch zu entziehen". Durch die "von ihm selbst erzwungene Abwahl" habe sich Sauerland einen Abgang verschafft, "der seiner Lebensleistung nicht entspricht".
Sauerland habe jegliches Gespür vermissen lassen
Die NRW-Grünen äußerten sich euphorisch: "Die Bürgerinnen und Bürger in Duisburg haben demokratische Geschichte geschrieben", erklärte das Vorsitzenden-Duo Monika Düker und Sven Lehmann. Als Oberbürgermeister habe Sauerland jegliches Gespür für einen angemessenen Umgang mit der Katastrophe vermissen lassen. Sie verwiesen auch auf das erst im Frühjahr 2011 vom Landtag verabschiedete Abwahlverfahren. "Die insgesamt sehr gute Wahlbeteiligung zeigt eins: In Duisburg wurde in den letzten Wochen Demokratie gelebt."
Die Piraten-Partei in Nordrhein-Westfalen sieht das große Interesse als Bestätigung eines ihrer Kernthemen: der direkten Bürgerbeteiligung. "Das ist Demokratie, wie wir uns das vorstellen", sagte Michele Marsching, der Vorsitzende der NRW-Piraten, WDR.de. Man müsse nun dafür sorgen, dass die Hürden für Bürgerbegehren weiter gesenkt werden. Dass die Abwahl trotz hohen Quorums erfolgreich verlief, sei kein Argument, daran festzuhalten: "Es wird auf kommunaler Ebene nur wenig Themen geben, bei denen eine dermaßen hohe Beteiligung erreicht werden kann." Die Abwahl Sauerlands sei auch wegen ihres bundesweiten Echos ein Sonderfall und könne nicht als Beispiel für reguläre Bürgerbegehren gelten. "Wenn in einem Stadtteil über den Bau einer Straße abgestimmt werden soll, wäre ein Quorum wie beim Abwahlverfahren zu hoch."
Priggen: "Quorum von 25 Prozent ist angemessen"
Grünen-Fraktionschef Reiner Priggen
Zumindest, was das Abwahlverfahren von Bürgermeistern und Landräten angeht, machte Reiner Priggen, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Landtag, klar: "Duisburg hat den Erweis gebracht, dass ein Quorum von 25 Prozent, das von vielen als hoch empfunden wurde, richtig und angemessen ist." Die Gesetzesinitiative im Düsseldorfer Landtag für das Abwahlverfahren war von der Linken ausgegangen. Deren Entwurf hatte allerdings ein niedrigeres Quorum vorgesehen. SPD und Grüne hatten ihre Zustimmung von einer Erhöhung des Beteiligungswertes abhängig gemacht. Özlem Alev Demirel, die als kommunalpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion im Landtag maßgeblich an der Gesetzesvorlage mitgewirkt hat, sagte am Montag (13.02.2012) WDR.de: "Es ist sehr erfreulich, dass wir mit unserem Gesetz dazu beigetragen haben, die direkte Demokratie zu stärken." Duisburg habe eine weise Entscheidung getroffen.
Der Ball liege nun bei der CDU
Mit dem Gesetz zum Abwahlverfahren in vorliegender Form ist Priggen zwar zufrieden, er kündigte aber auch an, dass die Grünen sich für weitere Instrumente zur Stärkung der direkten Demokratie einsetzen wollen: "Es kann nicht sein, dass es in NRW seit mehr als 30 Jahren kein erfolgreiches Volksbegehren gab." Der Ball liege nun bei der CDU. Um die Hürden für Volksbegehren zu senken, muss die Verfassung geändert werden. Dazu wiederum ist im Landtag eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.
Bei der NRW-Union wollte man sich am Montag (13.02.2012) zu diesem Thema zunächst nicht äußern. Fraktionschef Karl-Josef Laumann kommtierte am Nachmittag allerdings die Abwahl seines Parteikollegen Sauerland: "Als gute Demokraten akzeptieren wir Christdemokraten das Ergebnis der gestrigen Wahl." Laumann betonte: "Adolf Sauerland hat die Stadt Duisburg sichtbar weiter entwickelt. Er war immer bodenständig, er war ein Kümmerer und Zupacker." Die Stadt und die politisch Handelnden stünden nun vor einem Schnitt: "Sie haben es in der Hand und sie haben die Pflicht, das, was Adolf Sauerland an positiven Akzenten geleistet hat, für die Menschen in Duisburg weiter zu entwickeln", so Laumann.
Reaktionen im Netz kontrovers
Die User von WDR.de diskutieren die Abwahl kontrovers
Nicht nur in der Landespolitik, auch im Netz rief die Abwahl Sauerlands teils kontroverse Reaktionen hervor. Die Kommentarfunktion bei WDR.de wurde zahlreich genutzt, viele der User zeigten sich zufrieden mit der Entscheidung und gratulierten Duisburg. Vor allem der Zorn über das Verhalten Sauerlands hallte in vielen Statements nach: "Die ganze Art und Weise, wie reagiert wurde nach dem Umglück, war eine Wegschieberei von jeglicher Verantwortung und hat uns nur noch wütend gemacht", schrieb "Diana" aus Düsseldorf. "Saubere Arbeit von den Duisburgern! Hut ab!" Eine andere Userin, die unter dem Namen "Öcherin" auftritt, kommentierte: "Es tut sehr gut zu erleben, dass wir Bürger uns nicht alles gefallen lassen müssen, sondern auch MAL etwas selber in die Hand nehmen können - und das hoch erfolgreich sogar."
"Bürger wollten einen Schuldigen"
Gleichzeitig brachten aber auch viele ihren Ärger über das Abwahlverfahren zum Ausdruck. "Sich hier DEN Schuldigen zu suchen, ist absurd. Wer den Bürgermeister für schuldig hält, der muss jeden einzelnen Polizisten vor Ort für schuldig halten", schrieb WDR.de-Leser "Karl". "Das Ganze sieht mehr danach aus, dass die Bürger einen Schuldigen wollen, den sie für ihre Trauer bestrafen können", kommentierte "Skeptiker". Und ein Leser mit dem Pseudonym "angst" formulierte: "Was hier gefeiert wurde, ist der erfolgreiche Abschluss einer Menschenjagd. Ich bin vor allem enttäuscht vom Verhalten der SPD, die sich in erheblichem Maße an der Treibjagd beteiligt hat. Sollte dies der neue Stil der politischen Auseinandersetzung sein?"
Sauerland noch bis 15.2. im Amt
Auch auf diesen Vorwurf reagierten zahlreiche Leser mit Kommentaren: "Wer hier von einem Mob faselt, der den armen OB gepeinigt hat, hat bis heute die Situation nicht verstanden", postete "Sekundenkleber". Und "Ralph Fischer" fand versöhnliche Worte: "Ich wünsche Herrn Sauerland alles Gute. Ich glaube, auch für ihn ist es gut, wenn die dauernden Anfeindungen zu Ende gehen." Bis Mittwoch bleibt Adolf Sauerland noch im Amt. Dann wird der Wahlausschuss das Ergebnis des Bürgerentscheids offiziell feststellen. Danach leitet bis zur Neuwahl, deren Termin noch aussteht, Stadtdirektor Peter Greulich (Grüne) kommissarisch die Verwaltung. Der ehrenamtliche Bürgermeister Benno Lensdorf (CDU) übernimmt die repräsentativen Aufgaben.
Die Neuwahl des Oberbürgermeisters könnte im Juni noch vor den Sommerferien stattfinden. Stadtsprecher Frank Kopatschek sagte, als Termin komme der 17. Juni in Frage. Eine Stichwahl zwischen den beiden bestplatzierten Kandidaten könnte dann für den 1. Juli angesetzt werden.