Beginn der freien Nachkriegspresse
NRW wird druckreif
Stand: 27.05.2006, 06:00 Uhr
1946 wurde nicht nur NRW gegründet. Vor 60 Jahren erhielten auch die ersten Jungverleger des Landes von der britischen Militärregierung ihre Drucklizenz. Es war der Beginn der freien Nachkriegspresse: ein Beginn mit Hindernissen.
Von Thomas Köster
Von der Gründung Nordrhein-Westfalens ist die Kölner "Volksstimme" nicht begeistert. Fünf Tage nach der Entscheidung der britischen Militärverwaltung zur Heirat der Provinzen Nord-Rhein und Westfalen druckt das Blatt am 22. Juli 1946 einen kritischen Kommentar. "Die überraschend und ohne Kenntnis der demokratischen Parteien begonnene Länderbildung ist der erste Schritt zu einer Aufsplitterung Deutschlands", heißt es da. Sie laufe dem "Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes" zuwider.
Überhaupt geht die Nachricht von der Landesgründung auf der Titelseite etwas unter. Wichtiger ist der "Volksstimme" der Auftritt zweier Vorsitzender der neu gegründeten Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) aus der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) im Eis- und Schwimmstadion. Darf man der Schilderung glauben, so hat halb Köln während des "packenden und oft durch Beifallskundgebungen unterbrochenen" Vortrags spontan und geschlossen sozialistische Kampflieder angestimmt.
In den Spalten Richtung pflegen
Feierliche Lizenz-Übergabe 1946
Die "Volksstimme" ist die erste NRW-Zeitung außerhalb von Aachen, die mit einer Lizenz der Briten im März 1946 zu drucken beginnt: Die "Aachener Nachrichten" hatten bereits ein Jahr früher angefangen, allerdings als amerikanische Militärzeitung. Und die "Volksstimme" ist eine Zeitung, die offen der Kommunistischen Partei Deutschlands nahe steht. "Anders als die Amerikaner vergaben die Briten ausschließlich Lizenzen an parteinahe Zeitungen, die so genannte Richtungspresse", sagt Gabriele Toepser-Zieger, Leiterin des Dortmunder Instituts für Zeitungsforschung. "Auf diese Weise glaubte man, die Demokratisierung Deutschlands schneller voranzutreiben."
So sind andere NRW-Blätter der ersten Stunde wie die "Westfälische Rundschau" aus Dortmund, die "Westfalen Zeitung" aus Bielefeld oder die "Rheinische Zeitung" aus Köln der SPD oder CDU verbunden. Für die Düsseldorfer "Rheinische Post" bedeutet es 1946 "Recht und Pflicht, in den Spalten die christlich-demokratische Richtung zu pflegen".
"Lesen und weitergeben!"
Ein Jahr nach Lizenzvergabe sind in NRW bereits 19 Zeitungen am Start. Dabei gestaltet sich die Suche nach Zeitungsmachern mit journalistischer Erfahrung für die Briten überaus schwierig. "Die so genannten Altverleger, die vor 1945 publiziert hatten, galten als belastet und waren von der neuen Presselandschaft ausgeschlossen", sagt Toepser-Zieger. So ist die Richtung und Vielfalt der Presse in einer bestimmten Region davon abhängig, wie viele geeignete Jungverleger gefunden werden - und welche politische Meinung sie vertreten. "Ausgewogenheit der Meinungen spielte keine Rolle."
Die Drucklizenz bedeutet vor allem das Recht auf Papierzuteilungen für Auflagen bis zu 250.000 Exemplaren. Selbst in Skandinavien kaufen die Briten den knapp gewordenen Rohstoff für die Demokratisierung Deutschlands ein. Gedruckt wird auf den Maschinen der Altverleger, die für die Nutzung Geld erhielten. Auch die Kölner "Volksstimme" nutzt in "Lohndruckerei" die Produktionsmittel des kapitalistischen Klassenfeinds.
Lektüre und Lebenshilfe
Zeitungsthema "Demontage"
Wegen der Papierknappheit kommen die vierseitigen Zeitungen zunächst nur zwei Mal pro Woche heraus. Themen sind die Lebensmittelknappheit, die Demontage der Industrieanlagen oder Reparationszahlungen an die Alliierten, aber auch "Die Frau in der Sowjetunion" und "Die warnende Lehre der Vergangenheit". Lesestoff und Orientierungshilfe wollen die neuen Blätter bieten.
Wie das Beispiel der "Volksstimme" zeigt, verzichten die Briten auf eine Vorzensur. Sie achten allerdings streng auf die Trennung von Nachricht und Kommentar. Und sie können die nordrhein-westfälische Presselandschaft indirekt kontrollieren. Denn die Alliierten behalten das Monopol auf die Papierzuteilung, sagt Toepser-Zieger. "Und das Papier konnte jederzeit wieder entzogen werden. Deshalb war man auch sehr vorsichtig mit der Berichterstattung und hielt sich lieber an offizielle Pressemeldungen."
Altverleger und Kommunisten ohne Chance
Schon bald wird die Papierzuteilung der Zeitungen an die Wählerstimmen ihrer Parteien gekoppelt: So sinkt die Auflage kommunistischer Blätter allmählich gegen Null. In NRW ist die "Volksstimme" längst verstummt.
Für die anderen Jungverleger erweist sich das britische Modell bis zur Übergabe der Presserechte an die Länder 1947 zumeist als voller Erfolg. "Der größte Teil der Zeitungen, die heute auf dem Markt sind, sind Lizenzzeitungen", sagt Toepser-Zieger - auch wenn sie den Parteien inzwischen nicht mehr im selben Maß wie damals nahe stehen. Die Altverleger dürfen erst seit 1948 wieder Zeitung machen. Und da ist der Markt unter den etablierten Neuen bereits aufgeteilt.