Ingo Mertens und seine Frau sitzen genau da, wo alles begann: in ihrer Gartenlaube im Kleingärtnerverein Hafenwiese. 362 Pächter gibt es hier, es ist der größte Kleingärtnerverein von Dortmund. Hinter den Bäumen und Gartenhäuschen ragen Industriegebäude in den Himmel. Manchmal trägt der Schall die Arbeitsgeräusche bis zu Ingo Mertens Laube. Und nicht nur das. Sondern auch Staub - PCB-belasteten Staub.
Schon bei Feinstaubmessungen 2008 im Umfeld des Hafens fielen erhöhte PCB-Werte auf. Den Kleingärtnern wurde geraten, keinen selbstangebauten Grünkohl, Salat und keine Zucchini zu essen. Die Bezirksregierung suchte schon damals nach dem Verursacher, aber vergeblich. "Und dann hieß es auf einmal, es war Envio", sagt Mertens. Das war fast zwei Jahre später, Ende Mai 2010.
"Jeder hier weiß doch, dass die mit PCB arbeiten"
"Wir waren total sauer", berichtet Mertens. "Es ist ja nicht so, als hätten wir den Behörden nicht gesagt: Habt ihr denn auch mal mit Envio gesprochen?" Der Rentner schüttelt den Kopf. "Jeder hier weiß doch, dass die mit PCB arbeiten", sagt er. Eine Firma, die sich auf das Reinigen von PCB-Transformatoren spezialisiert hat, hätte doch die erste Adresse für die Ermittler in den Behörden sein müssen.
Bürgerinitiative kritisiert Rolle der Behörden
So sieht es auch Wiebke Claussen. Die 48-Jährige hat zusammen mit anderen Anwohnern eine Bürgerinitiative gegründet. Die Frage, die oft diskutiert wird, ist nicht nur: Wie konnte das passieren? Sondern auch: Wie konnten die zuständigen Behörden so sehr versagen? "Es reicht nicht, wenn man bei einer Firma anklopft und sagt: Hallo, wir haben PCB gefunden, wart ihr das vielleicht?", sagt sie. Da müsse man sich nicht wundern, wenn ein Unternehmen eine dreiste Lüge auftischen würde.So sieht es auch Wiebke Claussen. Die 48-Jährige hat zusammen mit anderen Anwohnern eine Bürgerinitiative gegründet. Die Frage, die oft diskutiert wird, ist nicht nur: Wie konnte das passieren? Sondern auch: Wie konnten die zuständigen Behörden so sehr versagen? "Es reicht nicht, wenn man bei einer Firma anklopft und sagt: Hallo, wir haben PCB gefunden, wart ihr das vielleicht?", sagt sie. Da müsse man sich nicht wundern, wenn ein Unternehmen eine dreiste Lüge auftischen würde.
Zudem scheint die Stadt mit der Situation bisweilen überfordert zu sein. "Wir mussten denen erstmal erklären, dass man für eine Bürgerversammlung auch einen Aushang am Supermarkt machen muss", berichtet Claussen. Stadtsprecher Udo Bullerdieck streitet das auch gar nicht ab. "Wir sind eine lernende Organisation", so Bullerdieck. Mittlerweile würden alle neuen Informationen auch direkt an die Bürgerinitiative, an die Kleingärtner und die anderen Firmen im Hafen gehen.
Leben in der Gefahrenzone
Im Supermarkt hat auch Julius Hüttmann davon erfahren. Er wohnt zusammen mit seiner Frau in einer anliegenden Straße - einen Katzensprung von Envio entfernt. Die Ehefrau von Hüttmann erwartet ein Baby. "Wir haben lange überlegt", ob die Teilnahme an den von der Stadt organisierten Blutuntersuchungen sinnvoll sei. Und jetzt doch die Entscheidung: Wir kümmern uns um einen Termin. "Wir konnten das Ausmaß nicht einschätzen und können es immer noch nicht", ärgert sich Hüttmann. Viele Fragen sind nach wie vor ungeklärt: Hat Envio nachts vor der Halle PCB-verdreckte Trafos einfach abgebrannt? Gibt es noch andere Verursacher?
Erste Kündigungen bei den Kleingärtnern
Die Verunsicherung ist groß. Zwei Familien hätten bereits ihre Mitgliedschaft im Kleingärtnerverein Hafenwiese gekündigt, berichtet Ingo Mertens. Als Reaktion auf die Bürgerkritik, hat die Stadt am Mittwoch (21.07.2010) eine Beratungsstelle im Stadtteil eröffnet. Die beratenden Ärzte arbeiten seit Jahren für das Gesundheitsamt. "So einen Fall wie diesen hatte ich noch nie", sagt Bernd Striegler. Er rechnet damit, dass viele Anwohner in die Beratung kommen, wenn ihre Blutergebnisse erstmal vorliegen. Gegen eine PCB-Vergiftung gibt es keine Therapie, es können nur Vorsorgeuntersuchungen gemacht werden.
"Ich habe immer noch Angst"
Seit 28 Jahren pflegen Ingo Mertens und seine Frau ihren Kleingarten. Mertens kennt tolle Rezepte für überbackene Zucchini. Aber daraus wird in diesem Jahr nichts: Die selbstangebauten Zucchini dürfen nicht gegessen werden. Kartoffeln aber schon. Das versteht niemand so richtig. Untersuchungen haben gezeigt, dass der Boden unbedenklich sei. Aber wieso dann nicht das Grünzeug?
"PCB kann man nicht schmecken und nicht fühlen." Mertens streicht mit dem Daumen über die Fingerkuppen. Jeden Tag verbringt der Rentner zwischen acht und zehn Stunden in seinem Garten. Deswegen hat er sein Blut auch testen lassen. Und auch wenn die Ergebnisse von Mitarbeitern der Nachbarfirmen zeigen, dass diese schon deutlich geringere PCB-Werte im Blut haben, bleibt ein Unbehagen. Mertens muss noch bis Ende August auf sein Ergebnis warten: "Ich formuliere es mal so: Ich hatte Angst und ich habe immer noch Angst."