"Die Bezirksregierung Arnsberg kritisiert 'Envio' für seinen Umgang mit PCB. Menschen sind in ihrer Gesundheit gefährdet worden", sagt Sprecher Jörg Linden. Die Behörde habe daher eine zweite Strafanzeige gegen "Envio" gestellt - wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Chemikaliengesetz und die Gefahrstoffverordnung. Seit Mai ermittelt die Staatsanwaltschaft Dortmund bereits wegen des Verdachts der vorsätzlichen Luft- und Bodenverunreinigung sowie des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung.
25.000-fach erhöhte Werte
Bei rund 30 Envio-Mitarbeitern waren bei einer Blutuntersuchung erhöhte PCB-Werte gemessen wurden. Aus Sicht von Experten rund um Professor Michael Wilhelm von der Ruhr-Uni Bochum ist dies aller Wahrscheinlichkeit nach die Folge einer jahrelangen Belastung am Arbeitsplatz. Spätere gesundheitliche Auswirkungen seien deshalb nicht auszuschließen. "Beim PCB gibt es keine offiziellen Grenzwerte", sagt Jörg Linden von der Bezirksregierung Arnsberg, "sondern nur einen Referenzwert, der die durchschnittliche PCB-Belastung der deutschen Bevölkerung zeigt". Das sei bei einer unbelasteten Person, die beruflich nichts mit PCB zu tun hat, 0,01 Milligramm PCB pro Liter Blut. Der extremste Wert bei einem Envio-Mitarbeiter lag bei 250 Milligramm - das ist das 25.000-fache.
Derweil wächst die Kritik an den zuständigen Aufsichtsbehörden: Die Grünen-Abgeordnete Daniela Schneckenburger bezeichnet den Fall als "einen der größten Umweltskandale der letzten Jahre". Ihren Angaben nach habe es schon 2008 erste anonyme Hinweise gegeben. Es stelle sich die Frage, ob das Umweltministerium versagt habe. Die Grünen wollen dies über eine Kleine Anfrage an den Landtag klären. Die umweltpolitische Sprecherin der Landtags-SPD, Svenja Schulze, übt Kritik an der Bezirksregierung: "Die Vemutung liegt nahe, dass mangelhaft kontrolliert wurde", sagt sie.
Blutuntersuchungen bei Mitarbeitern anderer Unternehmen
Am Samstag (26.06.2010) wurden die Mitarbeiter von "Envio" über die zum Teil dramatisch erhöhten Werte informiert. Ihr Blut wird nun außerdem noch auf weitere giftige Chemikalien (Dioxine und Furane) untersucht. Nach Angaben der Bezirksregierung sollen die Betroffenen auch in den kommenden Jahren weiter unter ärztlicher Kontrolle stehen. Auch Hafen-Anwohner und die Mitarbeiter anderer Unternehmen, die auf dem "Envio"-Gelände als Untermieter ansässig sind, können sich nun freiwillig auf PCB untersuchen lassen. Ergebnisse wird es laut Jörg Linden aber erst Ende Juli geben. "Die Envio-Mitarbeiter sind zwar nicht krank, sie müssen aber mit dem Risiko leben, dass sie irgendwann einmal erkranken können", sagt er. Gegen PCB im Körper gibt es keine medizinische Behandlung und es baut sich nur sehr langsam im Körper ab.
Staub- und Kehrproben
Anfang Mai 2010 war auf dem Firmengelände ein belasteter Transformator in einer Halle gefunden worden war, in der eigentlich nur aufbereitete Materialien gelagert werden sollen. Im April 2010 hatte das Landesumweltamt Staub- und Kehrproben genommen. Nach Angaben von Eberhard Jacobs vom Landesumweltamt waren diese Proben nicht nur hoch mit PCB, sondern auch mit Furanen und Dioxinen belastet. Später wurden dann auch auf dem Freigelände der Firma erhöhte PCB-Konzentrationen festgestellt. Ende Mai hatte die Bezirksregierung Arnsberg dann den Betrieb im Dortmunder Hafen komplett geschlossen.
Verunreinigte Materialien exportiert?
"Envio" hatte sich am Samstag (26.06.10) "erschüttert und ebenso überrascht" über die Funde gezeigt. Geschäftsführer Dirk Neupert sagte, bisherige Vorsorgeuntersuchungen hätten "nie Hinweise auf erhöhte PCB-Konzentrationen im Blut der Beschäftigten" ergeben".
Das Unternehmen ist auf die Verwertung und Entsorgung PCB-haltiger Transformatoren spezialisiert. Nach Angaben der Bezirksregierung hatte das Unternehmen von 2006 bis 2010 fast 50 Metallschrott-Abnehmer in Deutschland, Europa und Asien. Ob dabei verunreinigte Materialien geliefert wurden, ist laut Staatsanwaltschaft noch nicht ermittelt.
Polychlorierte Biphenyle (PCB) sind giftige und krebserregende Chlorverbindungen, die auch Hauterkrankungen wie beispielsweise Chlorakne hervorrufen. Die Substanzen wurden in Deutschland 1989 verboten. Bis in die 80er Jahre wurden sie unter anderem in elektrischen Kondensatoren und Hydraulikanlagen verwendet.