"Ich war in einem tiefen schwarzen Loch, habe mich selbst bemitleidet und beschuldigt", sagt Sebastian K. (Name von der Redaktion geändert). Immer wieder überlegt er, ob er Fehler gemacht hat und sein Körper heute PCB-frei sein könnte. Erst jetzt begreift er, was da abgelaufen ist. Direkt nach der Schließung von Envio haben ihn der Schock und die Angst gelähmt. Ein neuer Job war für ihn undenkbar. Später hatte er bei seiner Suche keinen Erfolg. Immer wieder bekam er Absagen. Der Grund sei sein früherer Job bei Envio, so Sebastian K.: "Einige haben mir tatsächlich gesagt, wir haben Mitarbeiter seit 30 Jahren hier, die haben viel mehr Anrecht auf eine Betriebsrente." Und weil seine berufliche Vergangenheit ein Problem ist, möchte Sebastian K. anonym bleiben. Seine Erlebnisse decken sich mit den Erfahrungen des PCB-Ombudsmanns Erwin Pfänder: "Es ist offensichtlich die Sorge der Arbeitgeber, dass die ehemaligen Envio Mitarbeiter zu schnell krank werden können und zu lange ausfallen."
"Ich habe es verdrängt"
Dabei macht Sebastian K. einen gesunden Eindruck. Er ist groß und schlank. Doch, so erzählt er, er sei nicht mehr so belastbar. Sein Lungenvolumen sei deutlich kleiner geworden, er bekomme schon bei kleineren Belastungen Schweißausbrüche. Viele ehemalige Envio Mitarbeiter haben Leberschädigungen und Zysten in den Nieren. PCB kann auch das Immunsystem angreifen und ist krebserregend. Insgesamt 51 Menschen gehören wie Sebastian K. zu den am stärksten belasteten Menschen. Die PCB-Konzentration überschreitet den kritischen Wert um bis zu 25.000 mal. Bei Sebastian K. ist sie nicht ganz so hoch, eigentlich möchte er darüber auch gar nicht sprechen: "Ich habe es verdrängt." Entscheidend ist aber, dass Sebastian K. mit den besonders giftigen PCB-Verbindungen belastet ist. Welche Folgen das für ihn langfristig hat, ist nicht abzusehen.
Prozessende offen
Der frühere Envio Mitarbeiter meidet bewusst den Prozess gegen den ehemaligen Chef des Unternehmens und drei Manager vor dem Dortmunder Landgericht: "Man sollte natürlich als Betroffener direkt an der Quelle hängen und erfahren, was da passiert ist. Aber wenn sie das machen, sind sie psychisch kaputt." Zu Beginn hat er noch Zeitungsausschnitte gesammelt, einen kompletten Ordner voll. Jetzt schneiden seine Eltern die Artikel aus und haben damit viel zu tun. In der Gerichtsverhandlung sollen Gutachter zurzeit klären, ob PCB die Ursache für die Krankheiten der Envio-Mitarbeiter ist und ob Envio für die Belastung der Mitarbeiter verantwortlich ist. Außerdem hofft Erwin Pfänder, dass PCB als Berufskrankheit anerkannt wird. Dann hätten die Arbeiter einen Anspruch auf eine Entschädigung. Doch ein Ende des Prozesses ist nicht absehbar.
Sanierung des Geländes beginnt möglicherweise im Frühjahr
Offen ist auch noch, ab wann die Firma im Dortmunder Hafen saniert wird. Der Insolvenzverwalter sucht zurzeit nach einer Lösung. Er will das gesamte Material aus den Hallen räumen lassen. Dazu muss sich aber der Besitzer der Gebäude an den Kosten beteiligen. Gelingt das nicht, soll in einem ersten Schritt nur der verwertbare Schrott verkauft werden. Für weitere Komplikationen sorgt möglicherweise eine Weltkriegsbombe unter den Hallen, die entschärft werden muss.
Keine akuten Gesundheitsgefahren
Für die Mitarbeiter der benachbarten Firmen und die Bewohner rund um den Hafen besteht keine akute Gesundheitsgefahr. Das Landesumweltamt misst regelmäßig die Konzentrationen von Umweltgiften, unter anderem auch die von den PCB. Die Werte seien leicht erhöht, aber vergleichbar mit anderen Ballungsräumen, so das Landesamt.
Möbel immer noch als Gefahrgut entsorgt
Anders ist die Situation bei den ehemaligen Envio-Mitarbeitern. "Wir haben vor vier Wochen eine Wohnung komplett geräumt, alles, jedes T-Shirt, die gesamten Möbel - der größte Teil davon ist als Gefahrgut beseitigt worden", berichtet Erwin Pfänder. Die Wohnung wurde früher schon einmal gereinigt. Ursprünglich hatten die Mitarbeiter das Umweltgift über ihre Arbeitskleidung mit in die Wohnung gebracht. Häufig wurde es dann über die Waschmaschine weiter verteilt. Für die Betroffenen ist es eine enorme psychische Belastung, wenn die Wohnung erneut entgiftet werden muss. Solche Fälle seien inzwischen der Einzelfall, schränkt der Ombudsmann ein. Trotzdem sei es immer wieder ein Kampf mit den Behörden, damit die Betroffenen ihr Recht bekommen. Viele wollen jedoch einfach nur noch in Ruhe gelassen werden.
Ein neuer Job, ein anderes Leben
Und auch Sebastian K. hofft, dass er "das Schreckgespenst der Envio-Vergangenheit" hinter sich lassen kann. Lange hat er mit Ombudsmann Erwin Pfänder nach einer beruflichen Zukunft gesucht. In Diskussionen mit Jobcenter, Arbeitsagentur haben sie eine Perspektive erarbeitet. Viele Rückschläge hat es auf dem Weg gegeben. Sebastian K. hat dafür gekämpft, und wo ihm die Kraft fehlte, blieb Erwin Pfänder hartnäckig. Wahrscheinlich hat Sebastian K. deshalb bald einen neuen Job – in einem ganz anderen Bereich, mit ganz anderen Leuten.