Man hört es schon von Weitem. Dieses typische Heulen der Kettensäge. Diesmal kommt es von einem Spielplatz im Essener Südviertel. Auch hier hat der Sturm vor Tagen gewütet, ließ krachend riesige Äste neben Klettergerüste und Schaukeln fallen. Ein gefährlicher Ort für Kinder. Doch die Feuerwehr kann nicht überall gleichzeitig sein, dachte sich die Essenerin Sandra Krieger und postete auf der Facebook-Seite "Essen packt an" einen Aufruf. "Samstag, ab 10 Uhr, Spielplatz in der Wiebeanlage. Helfer willkommen!"
Jetzt steht Sandra inmitten von Helfern, die Baumreste schleppen, Wege fegen und Äste sägen. 15 Leute sind gekommen - ganz spontan ohne Anmeldung. "Das ist schon unglaublich, was man so alles bewirken kann", freut sich Sandra und blickt zufrieden in die Runde tatkräftiger Menschen, die sie vor einer halben Stunde noch gar nicht kannte.
Hilferuf per Facebook
Kurz nachdem der Jahrhundertsturm am Pfingstmontag ganze Straßenzüge im Ruhrgebiet verwüstete, hatte der Essener Tobias Becker die fixe Idee, per Facebook-Seite Freiwillige zusammenzubringen, die Sägetalent und Muskelkraft zur Verfügung stellen. Schnell wird eine Karte im Netz veröffentlicht, auf der genau zu sehen ist, in welchen Stadtteilen Hilfe benötigt wird. "Essen packt an" ist längst ein Selbstläufer und hat bereits über 4.000 Mitglieder. In den Stadtteilen bilden sich zunehmend Untergruppen. Ein Posting genügt und die Helfer strömen dahin, wo umgefallene Bäume Straßen versperren, Wege durchkreuzen oder Einfahrten blockieren. So meldet sich Team Borbeck zum Dienst in einem Freibad, im Stadtteil Kray räumt eine Gruppe gemeinsam den Volksgarten auf, in Steele haben sie erfolgreich einen Radweg freigeräumt und Team "Baumschubser" hat mal eben den Weg vor einem Altenheim begehbar gemacht. Fahrgemeinschaften bilden sich. Unternehmen spenden Wasser oder Werkzeug. Die Hilfsbereitschaft ist riesig und wächst von Tag zu Tag.
Helfen auch nach Feierabend
Seit Tagen ist auch Andrea Knoblauch im Einsatz. Nach acht Stunden Büroarbeit packte die Essenerin bereits dreimal Handschuhe und Gartengerät, um im Viertel aufzuräumen. Auch Sema Dalkilic bot über die Facebookgruppe kurzerhand ihre Hilfe an. Dass sie anpacken kann, hat sie drei Jahre lang ehrenamtlich beim Katastrophenschutz des DRK unter Beweis gestellt. Statt einfach das Wochenende zu genießen, ist sie an diesem Samstag eineinhalb Stunden mit Bus und Bahn quer durch die Stadt gefahren, hat Pappbecher, Mülltüten und Obst besorgt. Und steht nun also auf einem verwüsteten Spielplatz.
"Typisch Ruhrgebiet"
"Wir sind hier quasi nur die Vorhut", erklärt Sandra Krieger, die ihren Trupp "Team Hollywood" nennt. "Wir räumen jetzt die heruntergefallenen Äste weg, damit die Feuerwehr nachher schneller an die Bäume herankommt." Die sind nämlich durch Flatterband abgesperrt. "Und in abgesperrte Gebiete dürfen freiwillige Helfer ohne Genehmigung nicht."
Nach einer Stunde ist das Gröbste an Ästen weggeräumt und türmt sich auf einem Haufen mehrere Meter hoch. Ein Helfer bringt zwei Kisten Wasser, für den Mittag hat eine Anwohnerin versprochen, Nudeln für alle zu kochen und ihre Toilette zur Verfügung zu stellen. Unter den Helfern ist auch der Engländer Ian, der sich gar nicht genug begeistern kann über so viel Solidarität. Zehn Jahre hat er in Essen gelebt, dann war er für ein paar Jahre weg und ist jetzt wieder da. "Eine gute Entscheidung. So ein hilfsbereiter Menschenschlag ist einfach typisch für das Ruhrgebiet."