Archivgut im Grundwasser

"Zeit arbeitet gegen uns"

Stand: 23.06.2009, 14:05 Uhr

Dreieinhalb Monate nach dem Stadtarchiv-Einsturz liegen noch rund 15 Prozent des Bestandes in den Trümmern. Genauer gesagt: im Grundwasser. Wie tief, versuchen Experten mit Hilfe von Probebohungen zu klären. Noch sind die Archivalien nicht verloren.

Wer einen flüchtigen Blick auf das Unglücks-Areal an der Severinstraße wirft, könnte meinen, die Bauarbeiten für einen Neubau hätten bereits begonnen: Bagger schichten Erdhügel auf, dicke Bohrer fräsen sich senkrecht in den Boden. Doch bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass auch Feuerwehrmänner noch immer auf dem Gelände im Einsatz sind. "Die Verantwortung an der ehemaligen Unglücksstelle liegt weiter in unserer Hand", bestätigt Daniel Leupold, Sprecher der Kölner Feuerwehr im Gespräch mit WDR.de.

Ursprünglich war vorgesehen, die Unglücksstelle, die direkt an eine U-Bahn-Baustelle angrenzt, Ende Mai in den Zuständigkeitsbereich der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) zu übergeben. Doch "politische Kreise", so ist zu hören, haben sich dagegen ausgesprochen. Wohl auch deshalb, weil noch immer nicht geklärt ist, ob auch Mitarbeiter der KVB für das Unglück verantwortlich sind.

Probebohrungen sollen mehr Klarheit bringen

Bis auf eine Tiefe von etwa zehn Meter unterhalb des Straßenniveaus haben sich Feuerwehr und Bergungskräfte auf der Suche nach Archiv-Material in den vergangenen Monaten vorgearbeitet. Auf 22.000 Arbeitsstunden summiert sich dabei allein der Einsatz der Feuerwehr, etwa 85 Prozent aller Archivalien konnten gefunden und geborgen werden. Doch der Rest, darunter vermutlich noch Schriftstellernachlässe und Jahrhunderte alte Pläne und Karten, befindet sich komplett unterhalb des Grundwasserspiegels.

Wie tief genau, das versuchen Experten zur Zeit mit Hilfe von Probebohrungen zu klären. "Wir wissen bereits, dass der Schutt erst in einer Tiefe von etwa 20 Metern aufhört", sagt Feuerwehrsprecher Leupold. Die Bohrungen, die auch der Beweissicherung durch die Staatsanwaltschaft dienen, werden nach seiner Prognose spätestens Mitte August abgeschlossen sein.

Dokumente unter Wasser erstaunlich gut erhalten

Dass die noch nicht geborgenen Archivgüter nicht verloren sind, obwohl sie seit Monaten im Wasser liegen, dessen ist sich der stellvertretende Stadtarchivleiter Ulrich Fischer sicher: "Da kein Kontakt zur Luft besteht, ist zum Glück auch kein Schimmelbefall möglich." In dieser Hinsicht sei es daher sogar von Vorteil, dass die Dokumente im Wasser liegen. Das Ergebnis einer Probebohrung, bei der ein im Grundwasser liegender Archivschrank angebohrt wurde, bestätigt seine Einschätzung: Die in einem Bohrkern gefundenen Dokument-Fragmente seien "in erstaunlich gutem und lesbarem Zustand".

Doch statt Schimmel droht den vermutlich etwa drei bis sechs Meter tief im Grundwasser liegenden Papieren auf längere Sicht Gefahr durch Bakterien. Durch deren Aktivität beginnen sich die Archivalien mit der Zeit im Wasser aufzulösen. Ulrich Fischer ist daher an einer möglichst schnellen, mit kurzen Genehmigungswegen verbundenen Bergung gelegen: "Die Zeit arbeitet gegen uns".

Wird überhaupt zu 100 Prozent geborgen?

Doch nicht nur der Faktor Zeit spielt bei der weiteren Bergung eine Rolle. "Zwei weitere Aspekte sind Sicherheit und Kosten", so Gregor Timmer, Leiter des Kölner Presseamtes. Reicht es zum Beispiel, so genannte Spundwände aus Metall zu errichten, zwischen denen das Wasser dann nach Bedarf abgepumpt wird? Oder ist es sicherer, gleich das ganze Areal bis in große Tiefe zu ummauern und komplett trocken zu legen - was natürlich mit deutlich höheren Kosten verbunden wäre? Selbst über die Möglichkeit, eine Tauchglocke oder Feuerwehrtaucher einzusetzen, soll zwischenzeitlich nachgedacht worden sein.

Inzwischen hat die Stadt Köln beschlossen, eine Machbarkeitsstudie durch das Ingenieursbüro Smoltczyk & Partner erstellen zu lassen. Bis Ende Juli sollen die bereits direkt nach dem Unglück erstmals zu Rate gezogenen Stuttgarter Gutachter ihre Ergebnisse vorlegen. Timmer hofft, dass dann sowohl "belastbare Zahlen" als auch eine "Einschätzung zum Kosten-Nutzen Verhältnis" der jeweiligen Bergungsvariante vorliegen werden. Konkrete Zahlen wollen derzeit aber weder Timmer noch das beauftragte Ingenieursbüro nennen. Auch die Frage, ob womöglich gar nicht zu 100 Prozent geborgen wird, blieb unbeantwortet.

Entscheidung vielleicht erst im September?

"Am Ende ist es aber eine politische Entscheidung", erklärt Timmer den weiteren Weg nach Abschluss der Studie. Sicher ist schon jetzt, dass dies - gerade in der dann heißen Phase des Wahlkampfs - erneut einige Wochen Zeit kosten wird: Frühestens Mitte August, vielleicht aber auch erst auf der Ratssitzung im September ist nach seiner Einschätzung mit einer Entscheidung zu rechnen. Archivar Fischer bleibt dennoch optimistisch und hofft weiter auf eine schnelle und vollständige Bergung: "Jeder weitere Tag macht es ja schwieriger - das ist auch den Damen und Herren im Rat klar."