Koordination der Archivalien-Bergung
"Wir brauchen jetzt Fachleute"
Stand: 12.03.2009, 02:00 Uhr
Nach dem Stadtarchiv-Einsturz ist die Hilfsbereitschaft groß. Wer kann bei der Bergung des Archivguts helfen? WDR.de sprach mit Ulrich Soénius, dem Direktor des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchivs. Dort koordiniert man die Hilfe.
WDR.de: Was brauchen Sie aktuell? Welche Hilfsangebote liegen Ihnen vor?
Ulrich Soénius: Natürlich ist es jetzt in erster Linie wichtig, dass das Schicksal des Vermissten schnell geklärt wird. Für die Rettung der Archivalien haben wir Angebote von Fachleuten, die werden auch dringend gebraucht. Und zwar Archivare und Restauratoren, damit die geretteten Unterlagen sinnvoll und richtig ihrer weiteren Verwendung zugeführt werden können. Das heißt, sie werden, wenn sie trocken sind, in anderen Archiven zwischengelagert oder sie werden vorbereitet für eine Restaurierung. Das können nur Fachleute machen, denn sonst könnte vielleicht noch mehr zerstört werden, als es ohnehin schon ist. Es gibt mittelalterliche Handschriften, die total durchnässt sind und die selbst ich nicht anfasse, und ich bin vom Fach.
WDR.de: Sie sind auch im Vorstand des Verbandes deutscher Archivare und haben einen Rundruf in der Fachwelt gestartet. Wie war die Resonanz?
Soénius: Wir haben über 300 Hilfsangebote aus Deutschland und auch aus angrenzenden Ländern, zum Beispiel der Schweiz. Das sind alles Archivare. Dazu kommen rund 60 Restauratoren. Sie alle wollen in den nächsten Wochen helfen. Dann haben wir Hilfsangebote von anderen Archiven. Insbesondere auch bezüglich Magazinflächen. Archive haben halt bestimmte Voraussetzungen, um Papier zu lagern, das kann man nicht einfach nur in eine Halle stecken.
WDR.de: Nehmen die Archivare Urlaub oder werden sie für die Hilfe in Köln freigestellt?
Soénius: Das liegt in der Hoheit der jeweiligen Dienststelle, aber ich kann sagen, dass es eine Mischung ist. Es gibt Leute, die sagen, ich mache ein ganzes Wochenende bei Ihnen, aber am Montag muss ich wieder arbeiten. Und es gibt Leute, die sagen, meine Dienststelle hat mich für drei Wochen freigestellt. Ganz wichtig ist: Die Leute sind alle über die Stadt Köln versichert.
WDR.de: Viele Kölner Bürger wollen mit anpacken. Auf der Homepage "Wir retten unser Kölner Stadtarchiv" heißt es "Wir machen es einfach wie die Trümmerfrauen"...
Soénius: Das ist natürlich nicht so einfach. Ich habe mit Herrn Gahn, dem Betreiber der Homepage, gesprochen. Ich finde die Initiative super, das kann man gar nicht genug loben. Es haben sich bei ihm auch Archivare gemeldet, 60 oder 70 Leute kommen allein über ihn. Alle anderen können erst mal nicht helfen. Wir hatten auch schon überlegt, ob wir Unterkünfte für die Archivare brauchen. Aber das regelt alles die Stadt. Das ist ja auch nicht diese Riesenmenge wie beim Weltjugendtag, wo Betten gesucht wurden. Und viele kommen aus einer anfahrbaren Gegend. Köln hat ja allein 40 Archive, die Mitarbeiter helfen auch alle sehr engagiert, das ist ja klar.
WDR.de: Wie sieht es mit Spenden aus?
Soénius: Ganz abgesehen davon, ob die Kosten später von einem Verursacher zurückgeholt werden können, ist jetzt die öffentliche Hand gefragt. In erster Linie müssen Bund, Land und Stadt zu einem Agreement kommen. Auch weil es um immense Summen geht. Ich sehe den Bund und das Land in der Verpflichtung. Konrad Adenauer und Heinrich Böll waren eben nicht "nur" Kölner. Auch die vielen mittelalterlichen Quellen stellen nationales Kulturgut dar. Vielleicht wird man das ein oder andere über Spenden machen können oder auch Patenschaften anbieten. Sicher ist, es kostet sehr, sehr viel Geld. Wir reden hier über bis zu dreistellige Millionenbeträge, aber genau wird man das erst nach Abschluss der Bergungsarbeiten sagen können. Eine normale Akte zu restaurieren kann zwischen 10.000 und 15.000 Euro kosten. Bei 25 Kilometer Archivmaterial muss man das hochrechnen, aber es ist noch zu früh, um über genaue Summen zu sprechen.
WDR.de: Was brauchen Sie jetzt noch dringend für die Rettung der Archivalien?
Soénius: Dringend besseres Wetter, damit die Sachen nicht noch nässer werden. Und die Hilfsbereitschaft der Fachwelt darf nicht nachlassen: Wir werden sie noch mehrere Monate brauchen. Aber da bin ich zuversichtlich, Archivare haben eine große Solidarität untereinander.
Das Interview führte Sabine Tenta.