Wie kam es zum Einsturz des Stadtarchivs?
Warum das Stadtarchiv am 3. März 2009 an der Baugrube "Waidmarkt" eingestürzt ist - bis heute ist das nicht restlos geklärt. Bei dem Unglück kamen zwei Menschen ums Leben. Die Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) vermuten ein Loch unter der Lamelle 11. Eine Lamelle ist ein aus Beton und Stahl zusammengesetztes Teilstück einer so genannten "Schlitzwand", also einer Betonmauer, die eine Baugrube ummantelt. Die Lamelle 11 war 3,40 Meter breit und Teil der Schlitzwand, die unterhalb des Stadtarchivs entlang führte.
Durch das vermutete Loch könnte Grundwasser eingedrungen sein. Ein Indiz hierfür ist möglicherweise, dass in unmittelbarer Nähe des Archivs statt vier genehmigter Brunnen 23 gebohrt wurden, um das Grundwasser aus der Baugrube pumpen zu können. KVB-Anwalt Gero Walter sagte am 08.03.2010, dass die Baufirmen der Arbeitsgemeinschaft der bauausführenden Unternehmen (Arge) eigenmächtig zu viel Grundwasser abgepumpt hätten. Die erforderliche wasserrechtliche Genehmigung sei nicht eingeholt worden. Es sei unklar, ob die KVB darüber informiert waren. Die leitende Ingenieurgesellschaft, die für die Überprüfung der wasserrechtlichen Vorgaben zuständig war, habe davon gewusst, aber nichts unternommen.
Durch die zusätzlichen Brunnen könnte auch sehr viel Sand abgepumpt worden sein. Letztlich könnte dies wiederum zum Einsturz des Archivs geführt haben. Anhaltspunkt hierfür ist eine Sandbank im Rhein. Ob der Sand aus der Baugrube stammt, wird aber noch untersucht. Der KVB-Aufsichtsrat will sich von seinem Technik-Vorstand Walter Reinarz trennen, der für den Bau der Nord-Süd-U-Bahn zuständig ist.
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Wie konnte das mögliche Loch in Lamelle 11 entstehen?
Fest steht bis heute lediglich, dass beim Ausschachten der Lamelle 11 im Sommer 2005 eine 3,40 Meter breite Baggerschaufel in einer Tiefe von 30 Metern durch eine 2,80 Meter breite Schaufel ersetzt werden musste - Arbeiter waren zuvor auf ein Hindernis im Erdreich gestoßen. Eine Folge könnte eine Lücke zwischen den Lamellen sein, durch die wiederum Wasser eindringen konnte. Spekuliert wird aber auch, ob die Lamelle 11 nicht so tief war wie die übrigen Lamellen oder dass nicht genügend verstärkende Stahlbügel eingearbeitet waren. Dies wird aber erst geklärt werden können, wenn die Unglücksstelle von außen begutachtet werden kann. Wie und wann das möglich ist, steht noch nicht fest.
Derzeit laufen noch die Maßnahmen zur Bergung der verschütteten Archivalien, die Stelle ist mit Kies, Sand und Wasser überlagert. Dass die Baugrube eingestürzt ist, weil Stahlbügel in den Schlitzwänden fehlen, halten die KVB und Experten schon jetzt für ausgeschlossen.
Wie wurden die Mängel an den Baustellen entdeckt?
Die Überprüfung der Baugrube "Waidmarkt" nach dem Archiveinsturz ergab, dass das Vermessungs- und Betonierungsprotokoll von Lamelle 11 zwar in Ordnung erschien, Arbeitsprotokolle jedoch darauf hinwiesen, dass es bei den Arbeiten Probleme gab. Dieser Widerspruch machte die Gutachter Ende Oktober 2009 stutzig, woraufhin alle Schlitzwandvermessungsprotokolle in den folgenden Wochen untersucht wurden. Schon zu diesem Zeitpunkt wussten die KVB, dass bei Lamelle 11 eine "Minderbetonage" vorlag, dass also weniger Beton als veranschlagt verwendet wurde. Anfang Dezember 2009 stellte sich dann heraus, dass noch mehr Protokolle verfälscht waren. Diese waren beispielsweise mit anderen identisch - das aber ist gar nicht möglich, weil jedes Protokoll einzigartige Daten aufweisen müsste.
Bauarbeiter wurden daraufhin Mitte Januar 2010 von der Staatsanwaltschaft vernommen. Der Polier Rolf K. wird aufgrund der Zeugenaussagen seit Ende Januar 2010 verdächtigt, Stahlbügel am "Waidmarkt" nicht eingebaut, sondern mit bis zu neun weiteren Arbeitern an einen Schrotthändler verkauft zu haben. Es handelt sich dabei um 4,5 Tonnen Eisen für 1.500 Euro. Weil Rolf K. auch in anderen Baugruben gearbeitet hat, wurden am "Heumarkt" am 10. Februar 2010 zwei Schlitzwände aufgestemmt. Die Bilanz: Nur 17 Prozent der vorgeschriebenen Schubbügel - drei Meter lange Stahlbügel, die in einer Lamelle jeweils die beiden zu Körben geformten Stahlstangen verbinden, bevor Beton in die Lamelle gegossen wird - waren tatsächlich eingebaut worden. Die fehlenden Schubbügel machen am "Heumarkt" jedoch lediglich 0,4 Prozent des insgesamt verbauten Eisens aus, versichert die Arge. Sie geht davon aus, dass die Diebstähle bereits 2007 oder 2008 stattfanden. Bis 18. Februar 2010 wurden insgesamt 20 verfälschte Vermessungsprotokolle über Lamellen in den Baugruben Waidmarkt, Rathaus, Heumarkt, Chlodwigplatz und Kartäuserhof entdeckt. Auf allen fünf Baustellen wurde auch Rolf K. als Polier eingesetzt, weshalb ein Zusammenhang zwischen seiner Arbeit und den verfälschten Protokollen vermutet wird. Rolf K. wurde im Januar 2010 vom Dienst freigestellt.
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Wie gelang Fälschung der Bauprotokolle?
Es ist noch ungeklärt, wie es dazu kommen konnte. Die für die Vermessungs- und Betonierungsprotokolle verantwortlichen Bauleiter Klaus U. und Oberbauleiter Herbert L. wurden von der beim Bau der Nord-Süd-Stadtbahn federführenden Firma Bilfinger Berger suspendiert, wie am Dienstag (16.02.2010) bekannt wurde. Bilfinger-Vorstandschef Herbert Bodner räumte zwar Fehler in den Protokollen ein, führte diese aber auf mögliche Probleme der Mitarbeiter mit der Software zurück. Vorsatz sei auszuschließen.
Oberstaatsanwalt Günther Feld sagte WDR.de: "Hierzu gibt es noch keine genauen Erkenntnisse. Ob etwa systematisch gefälscht wurde, ist bisher reine Spekulation." Bilfinger-Berger-Konzernchef Herbert Bodner sagte: "Wir gehen davon aus, dass langjährige, ordentlich bezahlte Mitarbeiter vorsätzlich technische Unterlagen gefälscht und Bewehrungsteile nicht eingebaut haben." Zwei unabhängige Expertenkomissionen sollen künftig das Qualitätssystem des Konzerns insgesamt überprüfen. Bodner betonte aber, dass noch nicht klar sei, ob die Arge Schuld am Archiveinsturz habe.
Sind die Baustellen sicher?
Die KVB haben mehrere Gutachter beauftragt, die Sicherheit zu überprüfen. Das Ergebnis: "Die Baugruben sind stabil und sicher. Die Bauarbeiten werden fortgeführt. Die Überprüfung der Schlitzwände hat ergeben, dass alle Wände wie vorgeschrieben lotrecht sind." " Ein weiteres Problem ist jedoch das Hochwasser. Sollte der Rheinpegel steigen, würde auch zeitversetzt das Grundwasser steigen und damit der Druck auf die schützenden Schlitzwände. Die Baugruben werden deshalb bei unterschiedlichen Grundwasserpegeln geflutet. Die Arge betont, dass die Baustellen planmäßig hierfür auch baulich ausgelegt sind. Am Heumarkt sind es 39,50 Meter, nach Einfügen einer Zwischendecke ab Mittwoch (03.03.2010) 41,50 Meter. An den übrigen Baustellen ist der Grenzwert jeweils 43,50 Meter Grundwasserspiegel. Dieser Pegel entspricht einem Hochwasser, dass nur alle 200 Jahre vorkommt.
Welche Lehren wurden aus den Vorkommnissen gezogen?
KVB-Anwalt Gero Walter erklärte am 08.03.2010, die Bauaufsicht an der Baugrube Waidmarkt habe nicht funktioniert. Doch er betonte auch, dass die Ursache des Archiveinsturzes damit noch nicht geklärt sei. Vor dem Einsturz kontrollierten sich die Arbeiter quasi selbst. Ein unabhängiger Ingenieur überprüfte lediglich ihm zugesandte statische Berechnungen, Ausführungszeichnungen und Protokolle. Doch vor Ort auf der Baustelle war er nicht, wie es normalerweise üblich ist. Nach dem Einsturz am 3. März 2009 wurden den KVB von der Bezirksregierung Düsseldorf die Bauaufsicht entzogen. Seitdem werden die alten und neuen Arbeiten am Waidmarkt zusätzlich von einem externen Ingenieursunternehmen überwacht. Ein Gutachter des TÜV Rheinland arbeitet seit März 2009 die Unglücksursache auf, begleitet und überwacht von weiteren Gutachtern auf jeder Baustelle. Externe Spezialisten haben seit Mitte Juni 2009 am "Waidmarkt" die Bauüberwachung und -oberleitung. Seit Februar 2010 überprüfen noch weitere unabhängige Gutachter bereits erstellte und noch zu bauende Betonteile an den Baustellen. Die Bauüberwachung am "Heumarkt" wurde bisher von den KVB vorgenommen, soll nun aber ebenfalls extern vergeben werden.
Wie ist der Stand der staatsanwaltlichen Ermittlungen?
Ermittlungsverfahren richten sich gegen den Polier Rolf K. und neun weitere Arbeiter wegen der gestohlenen Stahlbügel. Gegen den Bauleiter Klaus U. und den Oberbauleiter Herbert L. wird wegen Fälschung technischer Daten ermittelt. Zudem läuft immer noch ein Ermittlungsverfahren infolge des Archiveinsturzes wegen fahrlässiger Tötung gegen Unbekannt.
Wird die U-Bahn überhaupt zu Ende gebaut?
KVB-Chef Jürgen Fenske erklärte, dass die Fertigstellung der U-Bahn sich verzögern wird. Die erste Bahn sollte eigentlich ab 2014 fahren. Die Arbeiten in den Baugruben - ohne "Waidmarkt" - gehen indes weiter voran. Obwohl die Verkehrsbetriebe mitgeteilt haben, dass sogar über eine Kündigung der Verträge mit den Baufirmen nachgedacht wird, erscheint dieser Schritt zurzeit mangels Kündigungsgründen unwahrscheinlich. Denn der Diebstahl der Eisenbügel steht zwar fest. Diese sind aber offensichtlich nicht Ursache des Archiveinsturzes.
Wird die U-Bahn durch die Verzögerungen teurer?
Bisher sind für den Bau eine Milliarde Euro veranschlagt. 750 Millionen Euro kommen dabei vom Land. Durch den Einbau von vier Schotts am Heumarkt zwecks Flutung bei Hochwasser oder Schadensersatzansprüche infolge des Archiveinsturzes sind Kosten entstanden. Als Bauherrin sind die Verkehrsbetriebe verkehrssicherungspflichtig und deshalb für alle Gefahren, deren Beseitigung und somit auch für die Kosten verantwortlich. Die Frage wird sein, ob die Verkehrsbetriebe Regress bei denen nehmen können, die letztlich dafür verantwortlich sind - oder ob sie die Zahlung für mangelhafte Leistungen verweigern darf. KVB-Sprecherin Gudrun Meyer sagte: "Es gilt das Verursacherprinzip. Derjenige trägt die Kosten, der als Verursacher anzusehen sein wird." Doch Fragen zur Verursachung und zur Verantwortlichkeit hierfür, so KVB und Staatsanwaltschaft, sind bisher nicht geklärt.