Zurück zu Schul- und Geschäftsbetrieb
Ein Stück Normalität in der Südstadt
Stand: 09.03.2009, 17:16 Uhr
Den Einsturz des Kölner Stadtarchivs erlebten sie aus unmittelbarer Nähe: Für Schüler und Lehrer des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums begann nun wieder der Schulalltag. Auch viele Geschäftsinhaber kehrten zu ihrer Arbeit zurück.
Von Birte Telgheider
Am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium (FWG) hat der Unterricht wieder begonnen, wenn auch nicht in der Severinstraße. Die Jahrgangsstufen 5 bis 11 sind in das Gebäude der Volkshochschule in der Nähe des Neumarkts eingezogen. Dort ist am Montag (09.03.2009) noch längst nicht alles und jeder am richtigen Platz. Umzugskartons stapeln sich im Sekretariat, Schüler werden von ihren Lehrern durch das Gebäude geführt, damit sie in dem neuen Umfeld die Orientierung behalten. Zwei junge Mädchen fragen, wo sie auf die Toilette gehen könnten - offenbar sind einige Türen wie die zu den sanitären Anlagen noch verschlossen.
"Das Gebäude war in den letzten vier bis sechs Wochen verlassen, denn eigentlich sollte hier renoviert werden", sagt Ronald Effertz, stellvertretender Schulleiter am FWG. Er habe gemeinsam mit Schulleiter Peter Jansen und Vertretern der Gebäudewirtschaft die Räume der VHS besichtigt und für geeignet erklärt. Aber nicht die gesamte Schülerschaft ist dort untergebracht. "Die Jahrgangsstufen 12 und 13 haben wir in den Nebengebäuden Hohe Pforte und Georgstraße einquartiert, weil hier nicht genügend große Räume vorhanden sind", so Effertz.
Mit Rosen zum Unterricht
Der Schultag beginnt am Montag gemeinsam für alle Schüler mit einem ökumenischen Gottesdienst in St. Aposteln, bei dem auch Oberbürgermeister Fritz Schramma ein paar Worte an die Anwesenden richtet. Gegen 10.00 Uhr kommt schließlich Leben in das VHS-Gebäude, die Schüler finden sich in Gruppen ein, viele mit einer Rose in der Hand. "Die Rosen sind ein Signal, an das Unglück zu denken", erklärt Effertz. "Sie stehen aber auch für den Neuanfang in den neuen Räumen." Und der steht zunächst unter dem Motto Raumaufteilung und allgemeine Zuordnung. In einer Vollversammlung werden die wichtigsten Dinge besprochen, erst zur fünften und sechsten Stunde findet der erste Unterricht statt.
"Leute, das Haus bricht ein"
Bei Tobias Scholze ist das Deutsch. Der 18-Jährige ist Schüler der Jahrgangsstufe 11 und war beim Einsturz des Stadtarchivs in unmittelbarer Nähe. "Ich habe gesehen, wie das Haus in meine Richtung zusammenbach, aber ich konnte mich nicht rühren. Teile sind gegen unser Gebäude geflogen." Er habe nur gerufen "Leute, das Haus bricht ein". Genau wie seine Mitschüler weiß er um die Möglichkeit, die Betreuung des schulpsychologischen Dienstes in Anspruch zu nehmen. "Ich habe überlegt, dort hinzugehen, einfach um die Geschichte noch einmal zu erzählen. Je öfter man sie erzählt, desto mehr hilft es." Die eigentliche Rückkehr in den Schulalltag beginnt auch für ihn am Dienstag (10.03.2009), dann findet wieder Unterricht nach Plan statt. "Die Stundenpläne können wir im Internet abrufen. Die anstehenden Klausuren sind aber alle um eine Woche verschoben worden", sagt Tobias. Es ist schließlich schwierig, eine Deutschklausur zu schreiben, wenn die Bücher noch im alten Gebäude liegen.
Geschäftsinhaber: Kunden bleiben aus
Während die Schüler umziehen mussten, konnten die Geschäftsinhaber auf den Straßen Blaubach und Mühlenbach seit Montag wieder etwas aufatmen, nachdem die dortige Straßensperrung aufgehoben wurde. "Ich gehe davon aus, dass sich jetzt alles wieder normalisiert", sagt Karin Lindenberg, die einen Modellspielwarenladen betreibt. "Wir hatten in der Zeit etwa 50 Prozent weniger Umsatz und Kunden. Problematisch war vor allen Dingen, dass die Zusteller keine Pakete liefern konnten." Dieses Problem umgeht Werner Bergfeld, der mit seiner Frau Edith ein Geschäft für Werkzeuge führt, mittlerweile dadurch, dass er sich die Pakete in den Außenbezirk liefern lässt. Ihn hat es in der vergangenen Woche hart getroffen: "Wir hatten zwar geöffnet, aber nicht einen einzigen Kunden in der ganzen Zeit. Und natürlich trotzdem laufende Kosten. Ich habe jedoch kein Interesse daran, irgendwelche Ansprüche anzumelden, solange noch Menschen verschüttet sein könnten." Edith Bergfeld sagt, man gehe derzeit mit Unbehagen durch die Severinstraße. "Hätten sie die Kölner vorher gefragt, wäre die U-Bahn nie gebaut worden", ist sie sich sicher.
90 bis 95 Prozent Verluste
Derweil hofft Puangpaka Scharnberg, Mitarbeiterin in einem nahe gelegenen Restaurant, dass die Stammgäste nun zurückkommen. Das Restaurant lebt hauptsächlich von den Mitarbeitern in den benachbarten Büros, die zum Mittagessen kommen. Für die war aber bislang kaum ein Durchkommen. Scharnberg geht von 90 bis 95 Prozent Verlusten aus. "Meine Chefs haben Angst, dass noch mehr Gebäude einstürzen, weil sie über dem Restaurant wohnen." Daran glaubt Heike Hübers, Eigentümerin der angrenzenden Apotheke, jedoch nicht: "Das Baufundament ist hier sehr tief. Aber wissen kann man es nicht." Also heißt es weiter: abwarten und hoffen.