Die Diskussion im Vorfeld war riesig: Datenschützer, Boulevardpresse und Verbraucherverbände liefen in seltener Eintracht Sturm gegen Google Street View. Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) rief zum großen Datengipfel, und Google räumte Mietern und Hausbesitzern ein Widerspruchsrecht ein, obwohl der Konzern das nach gängiger Rechtslage nicht hätte machen müssen. Knapp 250.000 Widersprüche gegen die Veröffentlichung von Häusern gingen bereits vor dem Start des Dienstes am 18. November 2010 ein, als die Straßenzüge der 20 größten deutschen Städte online gingen.
Verpixelung ein "Anschlag auf das öffentliche Leben"?
Rund drei Prozent der Häuserfronten, die man bei Google Street View zu sehen bekommt, wurden verpixelt. Eine Unkenntlichmachung, die die nächsten Protestler auf den Plan rief, die ihre Häuser lieber unverpixelt sehen wollten. Aus ästhetischen Gründen. Um Kunden besser auf ihr Geschäft aufmerksam machen zu können. Oder um als Vermieter möglichen Wohnungsinteressenten einen ersten Eindruck zu verschaffen. Der Blogger und Linguistikprofessor Anatol Stefanowitsch sah in der Verpixelung gar einen "Anschlag auf das öffentliche Leben". Wer sein Haus verpixeln lasse, stelle "seine Phantastereien über die Reichweite der eigenen Privatsphäre über das Recht der Allgemeinheit auf Teilhabe am gemeinsamen kulturellen Erbe". Und in Essen sollen Eier auf Häuser geflogen sein, die bei Street View gepixelt waren. Angeblich hing an den Briefkästen Zettel mit der Aufschrift: "Google's cool".
Über Umwege zur unverpixelten Ansicht
Doch ist ein Haus einmal gepixelt, bleibt es das bei Google Street View auch - trotz aller Proteste. Die Originalbilder, so Google, seien aus Datenschutzgründen längst gelöscht. Allerdings gibt es Tricks, wie man die grauen Flächen umgehen kann. So kann man beim Fotoportal Panoramio Bilder mit Ortsangaben versehen und hochladen. Und da Panaramio zu Google gehört, werden die Aufnahmen automatisch bei Google Street View eingebunden und sind an der jeweiligen Adresse abrufbar. Wie oft die User in den vergangenen zwei Monaten über diesen Umweg ein Bild ihres Hauses veröffentlicht haben, steht nicht fest. Die Resonanz im Netz scheint aber recht groß: Computerzeitschriften bieten Video-Anleitungen zur Entpixelung an, Aktionsgruppen wollen die "verschollenen Häuser" wieder zurückholen.
Vogelschwärme, Verhaftungen, falsche Geburten
Doch Google Street View ist nicht nur für Datenschützer, Touristikexperten, Wohnungs- und Orientierungssuchende interessant. Schließlich dient das Internet ja auch als Quelle für Spaß, Unterhaltung und 'Hast-du-das-schon-Gesehenes'. Viele User durchforsten Street View auf der Suche nach Witzigem wie Schockierendem: Autounfälle und Verhaftungen auf offener Straße, Möwenschwärme und einsame Eisbären, ein bewaffneter Straßengangster und ein etwas korpulenter Junge, der versucht, über den Zaun des Sportplatzes zu klettern - die Google-Kameras haben all das festgehalten.
Manches allerdings auch nicht. Kurz nach dem Start kursierte ein Bild im Netz, aufgenommen angeblich gegenüber einer Berliner Geburtsklinik. Darauf entbindet eine Frau auf dem Gehweg ihr Kind, zwei Passanten gehen achtlos vorbei, ein Mann winkt hektisch nach Hilfe. Wenig später stellte sich allerdings heraus: Das Foto war gefälscht.
Der Hund des Nachbarn lebt noch
Und auch den 'Egosurfern' bietet Street View einiges: Wer findet sich selbst, die beste Freundin, den nervigen Mathelehrer? Als Fotodetektiv kann man sich stundenlang die Zeit vertreiben. Allerdings mussten viele dabei feststellen, wie veraltet das Datenmaterial oft ist: Der Copyshop im Erdgeschoss hat inzwischen ein anderes Logo, die Kneipe gegenüber längst dichtgemacht. Und Caesar, der Nachbarshund, mag zwar vor eineinhalb Jahren gestorben sein, bei Google schnüffelt er aber noch immer fröhlich an der Hecke herum. Kein Wunder: Die ersten Aufnahmen wurden bereits im Sommer 2008 gemacht. Was beispielsweise auch den makaberen Effekt hat, dass man aus bestimmten Perspektiven das Kölner Stadtarchiv noch sehen kann, das Anfang März 2009 eingestürzt ist.
Keine Zahlen von Google
Diese mangelnde Aktualität könnte dazu beigetragen haben, dass sich die Aufregung um Street View seit dem Start stark gelegt hat. Zumindest die öffentliche Diskussion hat sich längst anderen Themen zugewandt. Dem Konzern selbst kann es nur Recht sein, dass die Kritik an der "Datenkrake Google" abgeebbt ist. Und so hält man sich auch sehr bedeckt, was Informationen angeht: Wann werden weitere Städte zu den 20 bisherigen hinzukommen? Wann ist ganz Deutschland zu sehen? Wie hat sich die Anzahl der Widersprüche seit dem Start von Google Street View entwickelt? All diese Fragen wollte man gegenüber WDR.de nicht beantworten. Der Informationsgigant hüllt sich in Schweigen.
Beim Bundesministerium für Verbraucherschutz ist es zwar möglich, sich Musterdateien herunterladen, um gegen die Veröffentlichung eines Bildes bei Street View Widerspruch einzulegen. Doch zu einer Einschätzung, wie oft dies in den vergangenen zwei Monaten passiert ist, will sich Sprecherin Sandra Pabst nicht hinreißen lassen. Doch sie ist sich sicher: "Das Thema beschäftigt die Bürger nach wie vor."