Norbert Walter-Borjans (SPD) ist ein umgänglicher Mensch. Wenn er sich ärgert, kann der Finanzminister, den im Landtag alle kurz Nowabo nennen, zwar auch anders. Die Worte aber, die er am Dienstag (02.06.2013) wählte, überraschen in ihrer Schärfe dann doch. Es ging um Zeitungsberichte über einen Verlust von sechs Milliarden Euro, den die WestLB auf den Kayman-Inseln eingefahren habe. Quelle der Medienberichte ist der FDP-Abgeordnete Ralf Witzel. Und den kanzelt der Minister ab: Der "Herr Witzel" führe entweder bewusst in die Irre oder habe eine "sträfliche Unkenntnis". Seine "Spekulationen" seien "grob falsch". Nowabo hat sich offenbar sehr geärgert.
Warum bis zum Untersuchungs-Ausschuss warten?
Nicht das erste Mal über Ralf Witzel, muss man hinzufügen. Der junge FDP-Politiker ist Fraktionsvize und Finanzexperte im Landtag. In letzter Zeit hat er sich darauf eingeschossen, die Umtriebe der zerschlagenen WestLB in exotischen Offshore-Finanzplätzen aufzuklären. Das Mittel der Wahl für ihn sind Kleine Anfragen an das Finanzministerium. Es wird zwar auch einen Untersuchungsausschuss zur WestLB geben. Nur der beginnt mit seiner Arbeit erst nach der Bundestagswahl im Herbst. So lange mag Witzel offenbar nicht warten. Das Thema eignet sich zu gut, um erstens den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück anzugreifen, der als Finanzminister und Ministerpräsident von NRW lange Zeit mitverantwortlich für die WestLB war. Und zweitens lässt sich mit dem Thema auch Walter-Borjans in die Parade fahren. Denn der bekommt für seinen Kampf gegen Steuersünder bundesweit viel Beifall. Dass die eigene Landesbank jahre- und jahrzehntelang selbst an solchen Standorten aktiv war, müsse aufgeklärt werden, findet Witzel.
Großmannssucht der Landesbanker
Damit hat er zweifellos Recht. Nach den Erfahrungen mit der Finanzkrise gibt es nur wenige, die es nicht skandalös finden, dass eine Landesbank Briefkastenfirmen an Standorten wie den Cayman-Inseln, Jersey oder den Bermudas unterhält. Es zeugt von Großmannssucht, dass Landesbanker, die dem Steuerzahler verpflichtet sind, mithalten wollten mit Privatbankern und dabei riskante Spekulationen in entlegenen Weltgegenden betrieben. Viel Geld ging dabei verloren. Geld, das heute fehlt. 18 Milliarden Euro werden die Fehlspekulationen der WestLB am Ende gekostet haben. Man kann es nicht anders nennen: Das ist ein Skandal.
So sieht das auch Walter-Borjans, der die Altlasten heute finanzieren muss. Was ihn aber so ärgert, sind Übertreibungen und Halbwahrheiten.
Die wundersame Entdeckung von WestLB-Töchtern in Steueroasen
Das beginnt mit der "Entdeckung" der WestLB-Töchter in den Steueroasen im Mai dieses Jahres. Das Medienecho war groß, genau wie die Empörung. Dabei waren die Standorte längst bekannt. Man hätte nur in die öffentlich zugänglichen Berichte der Bank schauen müssen, um zu sehen, wo die WestLB überall Geschäfte machte. Dass die Offshore-Aktivitäten lange niemand thematisiert hat, lag wohl daran, dass es so normal war. Finanzexperten sagen, vor der Finanzkrise war es Standard, dass Banken Töchter in Steueroasen unterhielten. Um Beihilfe zur Steuerhinterziehung sei es dabei nur in wenigen Ausnahmefällen gegangen, bei der WestLB angeblich gar nicht. Viel wichtiger, so die Experten, sei die lasche Bankenaufsicht gewesen. Die hat es den Banken erlaubt, riskante Geschäfte ohne ausreichende Absicherung zu tätigen. Das hat sich gerächt, als die Finanzkrise losging. Auch die WestLB hat viel Geld in Übersee verspekuliert.
Ein Gefäß für Schrottpapiere namens Phoenix
Wie viel Geld, will nun FDP-Mann Witzel herausgefunden haben. In seiner Kleinen Anfrage geht es darum, wie hoch der Anteil der Offshore-Töchter am Wertpapierbestand des Phoenix-Portfolios ist. Phoenix ist ein Gefäß, in das die WestLB Anfang 2008 ihre Schrottpapiere gesteckt hat. Bei der Anfrage kam nun heraus, dass mehr als ein Viertel der Phoenix-Papiere aus dem Standort Cayman stammt. "Damit steht fest, dass die Schieflage der WestLB zu einem Viertel im Offshore-Bereich entstanden ist", sagt Witzel gegenüber WDR.de.
So formuliert ist es richtig. In den Schlagzeilen der vergangenen Tage stand aber etwas anderes: Nämlich dass die Landesbank sechs Milliarden in der Karibik "versenkt" habe. Das ist falsch. Auf die Summe kommt man, wenn man den Ursprungswert des Portfolios - 23 Milliarden Euro - durch vier teilt. Nur: Damit hat man lediglich den Wertanteil der Cayman-Papiere an Phoenix ermittelt. Um Verluste geht es noch nicht, denn die ehemaligen Schrottpapiere lassen sich heute wieder handeln. Nicht zum Ursprungswert, versteht sich. Aber dass der Inhalt des Portfolios nicht komplett wertlos ist, zeigt ein aktueller Blick hinein. Bislang wurden Papiere im Wert von etwa neun Milliarden Euro verkauft. Die Verluste, die dabei entstanden sind, summieren sich auf insgesamt - also nicht nur beim Cayman-Anteil - auf 1,3 Milliarden. Das ist viel, keine Frage. Aber zu behaupten, es sei ein Verlust von sechs Milliarden Euro allein durch die Offshore-Papiere entstanden, ist mehr als verzerrend.
Der Kanzlerkandidat sieht sich zu Kommentar genötigt
Ob FDP-Mann Witzel diese Schlagzeile lanciert und absichtlich Nennwert und Verluste der Phoenix-Papiere verwechselt hat, wie Walter-Borjans ihm in seiner wütenden Stellungnahme vorwirft, ist unklar. Witzel bestreitet das. Klar ist nur: Die Aufregung über die WestLB war wieder einmal groß. So groß, dass sich auch Peer Steinbrück zu einem Kommentar genötigt sah. Der "Rheinischen Post" sagte er, nach seiner Erinnerung hätten in keiner der Verwaltungsratsitzungen der WestLB, an denen er teilgenommen habe, Offshore-Beteiligungen eine Rolle gespielt. Das klingt nicht sonderlich überzeugend.
Witzel macht denn auch deutlich, dass das Thema für ihn noch lange nicht durch sei. Am Donnerstag (04.07.2013) beschäftigt sich zunächst der Finanzausschuss des Landtags damit. Die nächste Kleine Anfrage ist ebenfalls in Vorbereitung. Dieses Mal will Witzel wissen, wie groß der Anteil der Offshore-Papiere am Verlust von Phoenix ist. Wetten, dass sich der Finanzminister nachher wieder ärgert.