Interview zur Rolle der Gewerkschaften
Betriebsräte holten die Kohlen aus dem Feuer
Stand: 11.10.2005, 11:53 Uhr
Wiederaufbau ohne Gewerkschaft - im Ruhrgebiet undenkbar. WDR.de sprach über die Rolle der Gewerkschaften mit dem 78-jährigen Hans Knobloch. Er hat nach dem Krieg bei Krupp in Rheinhausen gearbeitet und dort zwölf Jahre dem Betriebsratangehört.
WDR.de: Der Krieg hatte für chaotische Verhältnisse gesorgt - wer hatte nach Kriegsende bei Krupp in Rheinhausen das Sagen?
Hans Knobloch
Hans Knobloch: Viele Chefs sind ja bei Kriegsende abgehauen, die Betriebe waren damit führungslos. Und die Betriebsräte haben dann die ersten Schritte gemacht, um die Maschinen wieder zum Laufen zu bringen. Aber nicht nur das. Die sind auch Tag und Nacht unterwegs gewesen für die Belegschaft und haben alles organisiert. Wir hatten ja nichts. Ob das Kochtöpfe, Kohlen oder Kartoffeln waren, alles wurde von den Betriebsräten für die Arbeiter organisiert. Die haben eine unglaubliche Arbeit geleistet.
WDR.de: Wie viele Arbeitnehmer waren denn damals in der Gewerkschaft organisiert?
Knobloch: Praktisch alle. Die Gewerkschaft saß ja auch mit am Tisch bei jeder Einstellung. Jeder wurde erst einmal gefragt. Woher kommst du, was hast du gemacht? Und dann sind die auch gleich der Gewerkschaft beigetreten. Übrigens saßen die Arbeitnehmervertreter auch mit am Tisch, als die ehemaligen Vorgesetzten wieder zurück kamen in die Betriebe. Die Betriebsräte mussten ihnen Unbedenklichkeitserklärungen ausstellen, dass die wieder arbeiten durften. Wer im Dritten Reich politisch tätig war, ist nicht mehr eingestellt worden.
WDR.de: Was war denn das wichtigste Anliegen der Gewerkschaften in den ersten Jahren nach dem Krieg?
Knobloch: Natürlich mussten wir nach Kriegsende erst einmal sehr hart ran. 52 Stunden habe ich gearbeitet bei einem Monatslohn von 275 Reichsmark. Das war eine schwierige Zeit. Erst nach und nach wurden die Arbeitsbedingungen besser. Aber für uns war die Montanmitbestimmung das Wichtigste. Wir wollten mitreden in den Betrieben und dafür haben wir gekämpft und zwar richtig. Mit Erfolg. 1951 wurde die Montanmitbestimmung eingeführt.
WDR.de: Wie haben Sie das geschafft?
Knobloch: Damals hatten die Gewerkschaften mit Hans Böckler einen großen Vorsitzenden, der auf Augenhöhe mit Adenauer verhandeln konnte. Aber wir haben auch in den Betrieben dafür gekämpft. Ende 1950 spitzte sich der Streit um die Montanmitbestimmung zu. Die Gewerkschaften haben gesagt "wir müssen streiken". Und dazu waren alle bereit. Nicht nur bei Krupp in Rheinhausen, sondern auch bei Thyssen und Mannesmann sowie den anderen großen Unternehmen. Damit haben wir uns durchgesetzt. Das waren wirklich turbulente Zeiten, auch wenn ich das damals gar nicht so empfunden habe. Wir waren ja noch geprägt vom Krieg. Und bereit, jetzt die Rechte der Arbeitnehmer auch durchzusetzen.
WDR.de: Wie haben die Arbeitnehmervertreter es denn so schnell geschafft, sich wieder zu organisieren?
Knobloch: Die Engländer haben nach Kriegsende in den großen Betrieben sofort Betriebsräte eingesetzt. Und die waren sehr engagiert. Alle wollten beweisen, dass Deutschland auch anders kann - und ein neues Land aufbauen.
Das Gespräch führte Claudia Thöring.