Wie gesund ist NRW?
Doc Esser. 26.10.2023. 01:29:01 Std.. UT. Verfügbar bis 26.10.2028. WDR.
Wie gesund ist NRW? Mit Catherine Vogel und Dr. Heinz-Wilhelm Esser
Stand: 25.10.2023, 16:00 Uhr
Im Ranking einer großen Krankenkasse ist NRW auf dem letzten Platz gelandet: als „ungesündestes“ Bundesland. Dabei ist laut einer infratest dimap-Umfrage für den WDR fast allen Befragten (96 %) Gesundheit sehr wichtig. Trotzdem wird ein gesunder Lebensstil von deutlich weniger Menschen tatsächlich umgesetzt. Eine Folge: In allen Generationen sind die großen „Volkskrankheiten“ auf dem Vormarsch. Dazu gehören Herz-Kreis-Lauf-Erkrankungen, Erkrankungen der Atemwege, Adipositas und mit dem immer höheren Anteil älterer Menschen auch die Demenz.
Was das für Betroffene bedeutet und wie die Menschen in NRW zum Thema Gesundheit stehen, fragen WDR-Arzt Doc Esser und die WDR-Journalistin Catherine Vogel. Sie reisen quer durch NRW sprechen mit jugendlichen Rauchern, machen den Selbstversuch in einer Demenz-Simulation und begleiten eine Familie mit Übergewicht in ein gesundes Leben.
Fazit: Jeder kann selbst etwas dafür tun, lange gesund zu bleiben oder gesünder zu werden. Aber ein gesunder Lebensstil braucht die Unterstützung von Politik und Gesellschaft. „Gesundheitskompetenz“ fällt nicht vom Himmel, sondern muss gelernt und gelebt werden.
Übergewicht: gesunde Gewichtskontrolle bei Kindern
Die Statistik sagt: etwa die Hälfte der Nordrhein-Westfalen ist zu dick. In einer repräsentativen Umfrage von infratest dimap für den WDR geben 45 Prozent an, sie wollen aktiv abnehmen. Und für die meisten steht dabei Gesundheit, Fitness und Wohlbefinden im Vordergrund.
Starkes Übergewicht ist in Deutschland nicht nur als Risikofaktor für viele Wohlstandsleiden wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2, Stoffwechselstörungen, Fettleber oder Gelenküberlastung eingeordnet, sondern seit 2020 auch als eigenständiges Krankheitsbild anerkannt und kann damit auch kassenfinanziert behandelt werden.
Das gilt auch für Kinder und Jugendliche – und gerade sie haben in den Pandemiejahren an Gewicht zugenommen. Übergewichtige Kinder leben – nicht nur aber besonders häufig – in sozialen Brennpunkten, sind in Schule oder Kindergarten oftmals Mobbing oder Hänselleien ausgesetzt sind. Für sie und alle Jugendlichen ein sinnvolles Konzept zur Gewichtskontrolle hinzubekommen, ist ein sensibles Thema.
Experten wünschen sich hier eine bessere Versorgung, um frühzeitig helfen und eingreifen zu können. Denn Abnehmen darf bei Kindern nicht in Essstörungen, Depressionen oder seelischen Belastungen enden. Auch diese Problematiken haben in den Pandemiejahren zugenommen.
90 Minuten Bewegung täglich!
Prinzipiell setzen Experten beim Abnehmen an den großen Stellschrauben Ernährung und Bewegung an. Doch Fitness und vor allem Spaß am Bewegen stehen bei der Therapie von Kindern im Vordergrund – auch wenn die Kinder etwas mehr auf die Waage bringen, als sie sollen. Empfehlung fürs Grundschulalter sind mindestens 90 Minuten Bewegung am Tag – am besten draußen in der Natur. Kindergartenkinder sollten sogar noch länger aktiv sein. Nach oben gibt es keine Grenze.
Teller-Regel und Süßigkeiten-Box
In Sachen Ernährung ist wichtig bei der Regulierung „sanft“ vorzugehen, damit es nicht zu Essstörungen kommt.
Hier können ganz einfache Regeln helfen: Zum Beispiel die Teller-Regel. Wer sich den Teller immer zur Hälfte mit Gemüse und jeweils zu einem Viertel mit Kohlenhydraten sowie Eiweiß und Fett füllt, isst sich am Gesunden satt.
Süßes sollte nicht verboten, aber als Genuss und Besonderheit vermittelt werden und nicht einfach nebenbei oder gegen Hunger zu Verfügung stehen.
Über eine Süßigkeiten-Box, in der die Kinder ihre Tagesration selbstständig in einzelne „Tagesfächer“ füllen dürfen, kann Eigenkontrolle geübt werden. Spiele können helfen, Genuss und langsames Essen wieder zu erlernen.
Ein Beispiel dafür ist die Schokoladenreise: dabei wird ein Schokostück so langsam wie möglich gelutscht und der Geschmack erkundet.
Und einen Vorteil haben die Kinder gegenüber den Großen; sie können ihrem Übergewicht noch nach oben „wegwachsen“. Wer sein Gewicht hält und dabei größer wird, rutscht irgendwann von allein aus dem Übergewicht heraus.
Rauchen – wieder Trend bei den Jugendlichen!
Seit 15 Jahren gibt es in Deutschland den Nichtraucher-Schutz, seit 10 Jahren gelten in NRW sogar noch schärfere Regeln. Die Zahl der Raucher sank – bis jetzt. Denn bei den ganz jungen Rauchern haben sich laut DEBRA-Befragung im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums die Zahlen innerhalb eines Jahres von 2021 auf 2022 fast verdoppelt.
Und sie rauchen nicht nur; sie vapen, dampfen oder ziehen an der Wasserpfeife. Von Vanille über Erdbeere bis Apfel reichen die Geschmäcker der sogenannten Liquids in den E-Zigaretten. Das Design der Produkte im Laden ist bunt und verführerisch. Auch, wenn die Gesundheitsgefahren bei den E-Zigaretten nicht ganz so hoch zu sein scheinen wie beim Tabak – so sind sie bei den jugendlichen Rauchern oft der Einstieg zur klassischen Zigarette.
15 Jahre ist das durchschnittliche Einstiegsalter.
Ein Trend, der den Bemühungen Deutschlands entgegensteht; denn das Land hat die Bestrebung Europas bis 2040 rauchfrei zu werden, mitvereinbart. Allerdings wurde Deutschland im August diesen Jahres von der WHO für seine laxe Tabakkontrollpolitik kritisiert: Länder wie Australien und Neuseeland gehen hier als positives Beispiel mit extrem hohen Preisen für Zigaretten voran.
In Norwegen gibt es Zigaretten nur auf Nachfragen aus der Schublade – die extreme Präsenz von Nikotin-Produkten wie an Tankstellen, Supermärkten, Kiosken & Co., wie in Deutschland üblich, ist mittlerweile in manch anderen Ländern undenkbar.
Die Niederlande haben Zigaretten aus der Lebenswelt von Jugendlichen komplett verbannt: Nicht nur in Bildungseinrichtungen, Sportstadien, Parks und Jugendclubs, sondern auch in einem weiten Umkreis rundherum ist das Rauchen schlicht verboten.
Denn der Suchtfaktor von Nikotin ist extrem hoch und wer in jungen Jahren leichtfertig den Trend mitmacht und zur Kippe greift, kommt im Alter nur noch schwer davon los.
Strengere Regulierungen würden 57 Prozent der Nordrhein-Westfalen unterstützen laut repräsentativer Umfrage von infratest dimap für den WDR. Eine Haltung, die bei den Rauchern selbst allerdings auf deutlichen Widerspruch stößt (20 Prozent).
Alzheimer-Demenz: bessere Früherkennung und neue Medikamente
360.000 Demenz-Patienten leben in NRW und diese Zahl soll sich in den kommenden Jahren deutlich erhöhen. Denn tendenziell erreichen immer mehr Menschen ein hohes Alter – und damit gibt es auch mehr Demente.
Laut infratest dimap Umfrage für den WDR haben 47 Prozent der Menschen in NRW Sorge, selbst an einer Demenz zu erkranken – noch viel mehr (69 Prozent) aber davor, mit der Pflege eines dementen Angehörigen überfordert zu sein.
Die häufigsten Formen sind Alzheimer-Demenz, bei der es zu einem Absterben von Nervenzellen im Gehirn durch Proteinablagerungen kommt. Daneben die vaskuläre Demenz, bei der unsere Gefäße "verkalken" und damit auch die Versorgung im Gehirn leidet.
Übergewicht und Rauchen sind beides starke Risikofaktoren für eine frühe Demenz. Unterschätzt wird außerdem die soziale Komponente: Isolation und Vereinsamung im Alter können ebenso in eine frühe Demenz führen oder deren Fortschreiten fördern.
Unterschätzt werden auch die Möglichkeiten der Früherkennung und Prävention einer Demenz. Das ist neben kognitiven Tests bei der Alzheimer-Erkrankung möglich, z. B. durch eine Nervenwasserentnahme und Bestimmung typischer Eiweiße. Je früher die Erkrankung dabei bekannt ist, desto größer sind die Behandlungsmöglichkeiten. Zwar ist Alzheimer nicht heilbar, jedoch lässt sich das Fortschreiten verzögern. Durch eine gesunde Ernährung, viel Bewegung, Sport, aber auch Tanzen, Musik machen und aktive Teilnahme am Leben – in Vereinen, der Familie oder über ein Ehrenamt – hält man sprichwörtlich sein Gehirn fit. Ebenso können bei frühem Einschreiten Medikamente helfen, den Verfall zu verlangsamen.
Anlass zu Hoffnung geben ebenso neue Medikamente, die in den USA bereits eingesetzt werden. Für Europa ist die Zulassung in diesem Jahr beantragt worden. Sie wirken erstmals direkt auf die Proteinablagerungen und damit auf die Ursache der Erkrankung und nicht nur gegen die Symptome.
In Nordrhein-Westfalen arbeitet die Uniklinik Essen an einem Zentrum für Gedächtnisgesundheit und Prävention, um die Früherkennung und Behandlung von Demenz weiter voranzutreiben.