Das kleine Bonn und die große Geschichte – in diesem Spannungsfeld erlebten viele Bonner ihre Heimatstadt. Als die verschlafene Provinzstadt am Rhein die Wahl zur provisorischen Hauptstadt gewann, waren die Bonner selbst am meisten überrascht.
Bonn sei damals ein "beschauliches Rentnerstädtchen" gewesen, meint Karnevalist Peter Brust. Andernorts rief die Entscheidung auch Spott hervor: "Die können das doch gar nicht."
"Wartesaal für Berlin"
Bonn musste sich "rüsten" für den Ansturm der Bundesbediensteten, der Botschafter und Journalisten. Regierungsbauten mussten hochgezogen werden, Büros und vor allem auch Wohnraum. Dabei setzte man in den 1950er Jahren auf das Provisorische. Denn Bonn sollte ja nur eine Art Übergangshauptstadt sein - ein "Wartesaal für Berlin" (John le Carré). Die deutsche Teilung wollte man nicht mit neuen repräsentativen Großbauten besiegeln.
"Bonner" und "Bönnsche"
Das kleine Bonn und die große Geschichte: Der Marktplatz mit dem Alten Rathaus ist das Zentrum der Stadt.
Schnell unterschied man zwischen den "Bonnern" und den "Bönnschen". Erstere waren die Hinzugezogenen, die nicht "Blutwoosch" sagen konnten, letztere die echten Bonner. Herausragende Ereignisse waren stets die Besuche ausländischer Staatsgäste, zu deren Empfang notorisch Fähnchen geschwenkt wurden. Kinder mussten an diesen Tagen nicht zur Schule, auch viele Erwachsene nahmen sich frei und begrüßten die Gäste auf dem Marktplatz.
Im Zentrum der Macht
"Ich bin stolz darauf, dass ich nach Bonn gekommen bin": US-Präsident John F. Kennedy und Bundeskanzler Konrad Adenauer auf der Freitreppe vor dem Rathaus in Bonn.
"Ich bin sehr stolz darauf, dass ich aus unserer Hauptstadt Washington heute in die Hauptstadt der Bundesrepublik gekommen bin", rief John F. Kennedy am 23. Juni 1963 den Bonnern zu. "Der überragende Erfolg war der Charles de Gaulles", findet Peter Brust: "Das war das Absolute. Die Schulen hatten frei, die Betriebe haben nicht gearbeitet. Die ganzen Geschäfte hatten geflaggt. Kapellen, ein riesiger Umzug. Da ist nichts mit zu vergleichen."
Treffpunkt der "protestierenden" Welt
Dorothea Voigtländer berichtet als Journalistin über ihre Heimatstadt: "Bonn ist eine Stadt, in der Menschen die Ruhe lieben."
Auch die ausländischen "Dauergäste", die Botschafter und ihre Familien, brachten Glanz nach Bonn. 1951 gab es bereits 32 Botschaften, Mitte der 1950er Jahre hatte sich die Zahl verdoppelt. "Die Stadt Bonn hat sich von einer vornehmen Rentnerin zu einer Grande Dame von Welt und Ruf gemausert", jubelte ein Reporter. Bonn wurde auch zum Treffpunkt der "protestierenden" Welt. Zwischen 1949 und 1999 fanden 7.000 Demonstrationen in Bonn statt. Am 10. Oktober 1981 brach Bonn dann alle Rekorde: 300.000 Friedensbewegte rückten an, um gegen die nukleare Nachrüstung zu demonstrieren.
Berlin oder Bonn?
Hinterher weiß man immer mehr: "Bonn war eben doch nur ein Provisorium", sagt die Beueler Wäscherprinzessin Erna Neubauer, "aber ich glaube, die Bonner haben da viel draus gemacht.“
Als die Mauer im Herbst 1989 fiel, entflammte die Diskussion um die Hauptstadt: Berlin oder Bonn? Am 20. Juni 1991 fiel die Entscheidung für den Umzug des Regierungssitzes. "Sehr viele haben um ihre Zukunft gebangt, um ihren Arbeitsplatz", sagt der ehemalige Oberbürgermeister Hans Daniels. "Ich habe versucht, den Bonnern damals Mut zu machen. Ich habe gesagt: Wir schaffen das."
"Heimatabend Bonn" erzählt die Geschichte der vorläufigen Bundeshauptstadt und nimmt den Zuschauer mit auf einen "Spaziergang" durch den Bonner Alltag. Ausflüge zum Drachenfels, Schwimmen im Rhein, Pützchens Markt und Fronleichnamsprozession – all das gehört zum Erlebnisschatz eines jeden Bonners.
Ein Film von Ulrike Brincker
Redaktion: Christiane Hinz