Buchcover: "Fun" von Bela B Felsenheimer

"Fun" von Bela B Felsenheimer

Stand: 05.02.2025, 07:00 Uhr

Macht nicht unbedingt Fun zu lesen, wirkt dafür umso authentischer: "Die-Ärzte"-Schlagzeuger Bela B. thematisiert in seinem zweiten Roman "FUN" ein sexuelles Missbrauchssystem in einer fiktiven Rockband, das an den Fall Rammstein erinnert. Eine Rezension von Corinne Orlowski.

Bela B Felsenheimer: Fun
Heyne, 2025.
368 Seiten, 24 Euro.

Eine junge Frau hat nach einem Konzert der exzentrischen Band Nabel/Nabel einen After-Show-Pass ergattert, sie will unbedingt den supersüßen Gitarristen kennenlernen – die Band macht gerade für drei Konzerte Halt in Brandenburg. Doch hier im Backstage-Bereich tummeln sich noch andere Frauen herum.

"Sie ist nicht so aufgebitcht wie die meisten hier, aber auch sie hat sich mit ihrem Style Mühe gegeben. Sexy wollte sie sein. Für sich und, na klar, auch für die Band."

Da bringt ihr der Schlagzeuger ein Glas Rosé, zum Lockermachen wie es heißt und schon bald wandert seine Hand über ihre Kniescheibe.

"'Was haben wir denn hier? Is das Shareware?’ Plötzlich erkennt sie zu ihrem Entsetzen, dass die Hand des Bassisten im Dekolleté der Frau steckt und er mit den Fingern an ihrer Brust herumspielt. So beiläufig, als handele es sich um einen Kugelschreiber. […] 'Jetzt stell dich nicht so an, Schätzchen, lass uns ein bisschen Fun haben.‘“

Panikartig verlässt sie die Backstage-Party. Die anderen "Auserwählten", darunter die 18-jährige Ljilja, gehen mit ins Hotel. Was da mit Ljilja geschieht, ist schwer zu ertragen. Sie wird von zwei Bandmitgliedern gleichzeitig vergewaltigt. Nach einer anonymen Anzeige gerät "Nabel/Nabel" in einen Shitstorm. Doch die Musiker sind schon seit über 20 Jahren im Geschäft und reagieren gelassen mit ihrem berüchtigten Schocksprech:

"'Es gibt auf der Welt hundertmal Schlimmeres. Auf unseren Backstage-Partys ist auch nicht immer Disney […]. Das Fleisch muss nur jung genug sein. Und dann geb’ ich ihm die Angst.‘ […] Die Band mag ungehobelt sein, aber sie sind viel zu sehr auf das große Ganze fokussiert, um alles für ein bisschen Fun aufs Spiel zu setzen.“

Der überkommene Lifestyle Sex, Drugs and Rock’n’Roll klingt irgendwie vertraut? Erinnert an den Fall Rammstein. Doch diese Geschichte hier ist rein fiktiv, wie der Autor Bela B. Felsenheimer betont. Ihm gehe es um mehr als die Debatte um einen vermeintlichen Einzelfall. Er wolle über ein Verhaltensmuster schreiben, über patriarchale Strukturen. Das gelingt ihm in seinem zweiten Roman "Fun" absolut. Denn der Text wertet nicht, stellt die sexuellen Übergriffe und das erschreckend stabile System dahinter lediglich aus. Das macht ihn aber auch so schwer erträglich.

"'Warum schlafen Rockstars mit so vielen Frauen?’ 'Weil sie’s können, is schon klar.' 'Wir sind keine Schlagersänger, wir sind Piraten. […] Unser Schwanz ist bei allem dabei. Unser Schwanz textet, er komponiert und er performt auch mit uns.'"

Der Roman "Fun" macht beim Lesen also nicht so wirklich viel Fun. Er steckt voller Misogynie, Alltagssexismus und toxischer Männlichkeit. Doch umso eindrücklicher gelingen Felsenheimer dadurch die Szenen. Ohne erhobenen moralischen Zeigefinger geht hier ein Erzähler in die Vollen. Was soll man sagen? Das wirkt authentisch. Vier Jahrzehnte Rockband-Erfahrung bei der politischen Band "Die Ärzte" – wer hätte besser über Machtmissbrauch im Musikgeschäft schreiben können? Wäre da nicht die augenzwinkernde Ironie.

"Das ist immerhin 'Nabel/Nabel',eine fast schon übermächtige Musikgruppe. Sie sind noch nicht so groß wie 'Die Toten Hosen' oder 'Die Ärzte', aber das sind ja auch hängengebliebene Has-Beens aus dem vorigen Jahrtausend."

Bela B. Felsenheimer zeichnet in "Fun" eine Woche im Leben der Band "Nabel/Nabel" nach, die alles verändert. Dafür fährt er ein riesiges Personal auf, das er multiperspektivisch zu Wort kommen lässt. Nur leider kommen die Figuren ziemlich eindimensional daher. Männer, die meinen, ein Anrecht auf den Körper einer Frau zu haben, die sich gegenseitig decken, und die den Stars fast alles durchgehen lassen, weil sie Profit bringen. Und Frauen, die zwar etwas drauf haben, sich dann aber doch von den Männern blenden lassen und, nebenbei, nur über Essen, Sex und ihren Körper reden.

"'Hast du nicht auch manchmal eine trockene Vagina? Das passiert selbst HWG-lern wie dir.‘ 'Was ist das?‘ 'Häufig wechselnde Geschlechtspartner, so nennt es die Polizei.‘ 'Also, meine Vagina ist frisch und munter.‘“

Puh. Deckt man so gesellschaftliche Missstände auf? Auch wenn sich beim Showdown am Ende ein Familiendrama ereignet? Man bleibt mit einem unbehaglichen Gefühl zurück. Und begreift bald, dass das vielleicht die große Stärke von „Fun“ ist, diesem durch und durch demonstrativen Roman. Doch das geht zulasten der literarischen Qualität. So wirkt es, als habe hier nur einer wirklich seinen Spaß – und das ist Bela B. Felsenheimer selbst.