
"Blauer Sand" von Christoph Keller
Stand: 11.02.2025, 07:00 Uhr
Verlangt der Klimawandel nicht längst radikalere Taten? Davon ist Leo überzeugt. Regelmäßig verlässt er seine magische "Sandinsel", um einen besonders schlimmen Umweltsünder zu ermorden. "Blauer Sand" ist eine böse Satire auf unser aller Greenwashing. Eine Rezension von Gisa Funck.
Christoph Keller: Blauer Sand.
Limmat, 2024.
208 Seiten, 27 Euro.
Was kann man gegen reiche, skrupellose Umweltsünder tun, die sich heute ständig mit Geld für ihre Öko-Verbrechen freikaufen? Christoph Kellers Romanheld Leo Cavour ist darüber frustriert. Angesichts einer vielerorts allzu laschen Umweltschutzpolitik glaubt er, dass es längst andere, radikalere Maßnahmen braucht, um die Erde vor den Folgen des Klimawandels zu retten.
Schon länger zieht Leo darum jedes Jahr Anfang Oktober los, um einen besonders schlimmen Umweltsünder eigenmächtig um die Ecke zu bringen. Sechzehn Morde hat er im Namen des Klimaschutzes schon unentdeckt begangen. Nun plant er zu Anfang von Kellers Roman seine siebzehnte Bluttat. Diesmal soll ein gewisser Adam Hicks dran glauben müssen. Ein US-Multi-Milliardär, der nach Leos Meinung sein Vermögen allzu naturzerstörerisch angehäuft hat. Oder wie er seinem Opfer in dessen New Yorker Apartment erklärt:
"'Sie verdienen, es zu sterben', sagt Leo
'Das verdienen wir alle', antwortet Hicks.
'Sie, Adam Jeffrey Hicks, Katastrophenkapitalist, (….) Sie sind meine Nummer 17.'
'Ach, Ihr siebzehnter Mord?'
'Mein siebzehnter Gefallen, den ich dem Planeten und der Menschheit tue.'"
In "Blauer Sand" stellt Christoph Keller im Grunde die alte philosophische Frage nach dem sogenannt gerechten Tyrannenmord: Zeitlich versetzt in unsere postfaktisch-turbokapitalistische und den Klimawandel regelmäßig verdrängende Wohlstandsgesellschaft. Denn wie einst schon die Tyrannenmörder der Antike verklärt auch Romanheld Leo seine siebzehn Öko-Morde zur überlebenswichtigen Notwehr-Aktion:
"Gesetze sind längst Bullshit geworden. Sie schützen nicht mehr uns. Sie schützen nur noch die, die unsere Welt und damit uns zerstören. (…) Ich bin der vernünftigste Mensch der Welt. Einer, der die Typen ausschaltet, die am Ast sägen, auf dem wir alle sitzen."
Was Blauer Sand jedoch vor allem zu einer ungewöhnlichen und faszinierenden Lektüre macht, ist, wie Keller darin seinen Verbrechens-Plot mit fantastischen Elementen auflädt – ganz in der Tradition des Magischen Realismus. Sein Klima-Mörder Leo hat nämlich auf der fiktiven "Sandinsel" in der Flensburger Förde vor Dänemark eine Zuflucht gefunden. Eine magische Vulkan-Insel, die über jenen ungewöhnlichen blauen Sand verfügt, nach dem der Roman betitelt ist:
"Schon immer wollte die Sandinsel eine unbewohnte Insel sein. Eine, die Menschen abschüttelt wie eine nasse Löwin Wasser. Aber das ist ein Gemeinplatz: Keine Insel will von Menschen bewohnt sein, nur gelingt es den wenigsten. (…) Die Sandinsel hat es mit blauen Sandstränden versucht und damit das Gegenteil erreicht, weil sie mit ihrem Wunder zu viele angelockt hat."
Bei Keller tritt die magische Sandinsel, der Zufluchtsort seines mörderischen Klimaaktivisten, dann durchaus auch selbst als Akteur auf, indem ihre märchenhaften Pflanzen, Tiere und der Insel-Vulkan sich immer wieder sprechend und handelnd ins Geschehen einmischen. Eigentlich hatte die Insel ihren blauen Sand einst zum Selbstschutz erdacht und entwickelt. Die ungewöhnliche Farbe sollte Menschen von einem Besuch abschrecken. Stattdessen jedoch wurde ausgerechnet der blaue Sand zur großen Touristenattraktion, nachdem der Reisefotograf Nick Stahl ihn als erster entdeckt und fotografiert hatte.
Horden von Souvenirjägern stürmten daraufhin die Sandinsel und verwüsteten sie. Und sie stopften sich dabei prompt so viel vom blauen Sand in die Tasche, dass davon schon bald nichts mehr übrig war. Für Kellers Klima-Mörder Leo wiederum Grund genug, den Insel-Entdecker Nick Stahl zu seinem 14. Mordopfer zu erklären und ebenfalls brutal umzubringen.
Womit der Öko-Extremist Leo dann allerdings überhaupt nicht rechnet, ist, dass seine Mordopfer auch Angehörige haben, die ebenfalls auf Rache sinnen könnten. Entsprechend wird aus dem Öko-Rächer Leo im Roman dann schnell selbst ein Verfolgter, der um sein Leben fürchten muss.
"Blauer Sand" ist somit eine sehr originelle und bös-schwarzhumorige Mischung aus Öko-Thriller und magischem Insel-Märchen. Und es ist nicht zuletzt ein eindringliches Literaturplädoyer dafür, dem Menschheitsproblem Klimawandel endlich mit der nötigen Ernsthaftigkeit und Konsequenz zu begegnen.